Full text: Neuere Geschichte von der Französischen Revolution bis zur Jetztzeit (Bd. 4)

99. Du Königin Sopbu Cbärlotti. Von fcdot* von Koppen. 
Die Hohenzollem und das Reich. 2. Auflage. Glogau o. J. 8. 290. 
Sophie Charlotte gehörte zu den edeln weiblichen Naturen, die in der 
steten Fortbildung des Geistes Genuß und Befriedigung stnden. Sie 
bedurfte, wie Leopold von Ranke sagt, nur Luft, Sonne und geistige 
Beschäftigung. Während ihr Gemahl viel auf Äußerlichkeiten, auf eine 
glänzende Repräsentation gab, forschte sie nach dem Kern der Dinge und 
nach ihrer inneren Wahrheit. 
Sophie Charlotte lieble und pflegte den Umgang mit gelehrten Männern, 
von denen sie Aufklärung über wichtige Fragen des Lebens erlangen konnte, 
und sie besaß eine Eigenschaft, welche bei Frauen höher zu schätzen ist 
als die Fülle gelehrten Wissens: die Gabe zu verstehen. Durch die Art, 
wie sie Belehrung suchte, regte sie die Männer selbst zu tieferem Denken 
an. Sie begnügte sich nicht mit einer oberflächlichen Erklärung, sondern 
sie erkannte die schwachen Stellen eines Beweises mit großer Klarheit 
sogleich und übersah mit schnellem Blick die ganze Reihe irriger Folgerungen, 
die sich aus einer falschen Voraussetzung ergaben. Sie forschte nach dem 
Grunde des Grundes. 
Wie das Andenken an das häusliche, wirtschaftliche Walten der 
Oranierin, der Mutter Friedrichs, in dem stillen, friedlichen Oranienburg 
fortlebt, so knüpfen sich an Charlottenburg, das ehemalige Dorf Lietzen, 
wo Friedrich seiner Gemahlin ein Schloß erbauen und einen Lustpark an¬ 
legen ließ, die Erinnerungen an die Spaziergänge und Gespräche der 
„philosophischen Königin". Hier sah sie die französischen Refugies Lenfant, 
Beausobre, wie den welterfahrenen Jesuiten Vota und den Freigeist Toland, 
den flüchtigen Irländer; sie fand Gefallen in der Unterhaltung mit ihnen, 
oder sie folgte mit Aufmerksamkeit den religiösen Streitgesprächen, die in 
ihrer Gegenwart und gleichsam unter ihrem Schutze geführt wurden; denn 
Sophie Charlotte besaß jene auf der Verbindung von Schönheit und Geist 
beruhende natürliche Würde, die zugleich zur freien, zwanglosen Aussprache 
anregt und doch besänftigend und mäßigend auf den Strom der Unter¬ 
haltung wirkt. Mochte dann der Jesuitenpater mit dem heiligen Eifer, 
der ihm so wohl anstand, für den Primat des Papstes und die Einheit 
der Kirche eintreten, mochten Lenfant und Beausobre ihm gegenüber mit 
freimütiger Offenheit ihre evangelische Auffassung von den Schriften der 
Kirchenväter darlegen — immer nahmen die Gespräche einen edeln, 
würdigen Verlauf. 
Hier in Lietzenburg empfing sie auch die Besuche des Philosophen 
Leibniz, den sie schon am Hofe ihrer Eltern in Hannover schätzen gelernt 
und mit dem sie bereits seit 1690 in lebhaftem Briefwechsel gestanden. 
Die Unterhaltungen mit ihm, die sich über die ernstesten Rätsel des Lebens 
ausbreiteten, gewährten ihr einen außerordentlichen Genuß. „Glauben
	        
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