Wilhelm I.: der deutsch-ftanzösische Krieg von 1870—1871. 175
sam, weil man einen Angriff fürchtete. Bis dahin war auch noch
Napoleon mit seinem Sohne bei dieser Armee; am 16. früh verließ er
dieselbe, um auf Umwegen nach Chalons zu gelangen. An demselben
Tage kam es zu der großen Schlacht bei Vionville oder Mars la^-Aug.
Tour. (spr. Wiongwihf, Mars la Tur.)
Prinz Friedrich Karl hatte südwärts die Mosel überschritten und zwang den
Feind zum furchtbaren Kampfe. Anfangs standen 33 000 Deutsche gegen 93000
Franzosen, später 80000 gegen 200000. Dennoch wurde der Sieg errungen und
der Feind zur Umkehr nach Metz gezwungen. Bis 9 Uhr abends wurde gekämpft;
manches deutsche Regiment verlor die Hälfte seiner Offiziere und Mannschaften.
Drei Meilen in der Runde waren alle Häuser mit Verwundeten überfüllt, so daß
man erst nach langem Suchen ein ärmliches Zimmer für den König fand.
Dennoch war das blutige Werk erst halb vollbracht. Noch stand
der Feind vor Metz und konnte jeden Augenblick den Kampf erneuern.
Um den Sieg vollständig zu machen, mußte man ihn in die Festung
Metz zurückwerfen und dort umzingeln. So kam es denn zur Ent-
scheiduugsschlacht bei Gravelotte (spr.Graw'tott), 18. August 1870. ^Aug,
Erst nach sechsstündigem Marsche kamen die deutschen Truppen um 12 Uhr
an den Feind. Dieser hatte auf den Hügelketten um Metz eine äußerst starke Stellung;
seine Batterieen bestrichen die ebenen Flächen, auf denen die Deutschen vorrückten;
etagenmäßig übereinanderliegende Schützenreihen boten dem Chassepotseuer einen
weiten Spielraum. Dennoch eroberten die Deutschen mehrere vom Feinde besetzte
Dörfer. Nur gegen St. Privat (spr. ßäng Priwa) und Gravelotte konnte selbst
die größte Tapferkeit nichts ausrichten. Hier wurde der Kampf drei Stunden lang
fast nur durch die Artillerie geführt, bis es der Garde und den Sachsen gelang,
durch einen Seitenangriff St. Privat zu nehmen. Um Gravelotte aber wogte der
Kampf noch unentschieden. Da rückte bei einbrechender Dunkelheit das (2.) p o mm erf ch e
Armeecorps auf das Schlachtfeld. Nach unglaublichen Anstrengungen — es hatte
zum Teil einen 16—18stündigen Marsch zurückgelegt — rückte es unter Moltke's
Führung Mann bei Mann vorwärts, „die Tambours den Sturmmarsch schlagend,
die Hornisten ihr Signal „Schnell avancieren!" blasend — mit kühnem Hurra
aus allen Kehlen" gegen Gravelotte und vertrieb den Feind. Moltke konnte dem
Könige melden: „Majestät, der Sieg ist unser, der Feind ist ans allen Positionen
geworfen." Ein Hurra aller Umstehenden antwortete ihm. Nur durch die äußersten
Anstrengungen war das Werk gelungen.
Unser 73jähriger Monarch, der über 12 Stunden zu Pferde gesessen hatte,
schrieb der Königin: „Ich scheue mich, nach den Verlusten zu fragen. Ich wollte
hier biüouaüeren, fand aber erst nach einigen Stunden eine Stube, wo ich auf dem
mitgeführten königlichen Krankenwagen ruhte, und, da ich nicht ein Stück meiner
Equipage (von Pont-ä-Mousson) bei mir habe, völlig angezogen seit 30 Stunden
bin. Ich danke Gott, daß er uns den Sieg verlieh."
Die Schlacht war eine der blutigsten aller Zeiten, auf deutscher
Seite allein waren 15 000 Tote und Verwundete. Aber die schweren
Kämpfe um Metz hatten den großen Erfolg, daß der Marschall Bazaine
mit 180 000 Mann in diese Festung eingeschlossen und an der weiteren
Teilnahme am Kampfe verhindert war. Eine sechs Meilen lange befestigte
Einschließungslinie hielt hier unter dem Prinzen Friedrich Karl den
Feind umklammert. Ein Teil der zweiten Armee wurde vor Metz nicht
verwendet, sondern als vierte Armee unter dem Befehl des Krön-
Prinzen Albert von Sachsen gegen die Maas gesandt, um mit der
dritten Armee aus Paris zu marschieren.