Full text: Bilder aus der Götter- und Heldensage der Griechen, Römer und Deutschen (Teil 1 = Sexta)

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Romulus stellte sich auf dem Palatinos, Remus auf einem benach¬ 
barten Berge auf, und jeder hoffte, daß die Götter ihm günstige 
Himmelszeichen schicken würden. Remus erblickte zuerst sechs Geier, 
aber später erschienen dem Romulus zwölf Geier; damit war es 
entschieden, daß er der neuen Stadt den Namen geben und als 
König über sie herrschen sollte; er nannte sie Rom. 
Die neue Stadt war zu Anfang gar ärmlich anzuschauen; auch 
Wall und Graben, womit Romulus sie umzog, waren unscheinbar. 
Um sich über die Stadtgründung seines Bruders lustig zu machen, 
sprang Remus über die niedrige Stadtmauer. In wildem Jäh- 
zorn erschlug ihn Romulus und rief: „So geschehe jedem, der über 
meine Mauern springt!" Mit einem Brudermorde beginnt die 
Geschichte Roms. 
Auch die ersten Bürger der neuen Stadt waren rohe, gewalt¬ 
tätige Menschen; denn um seine Stadt mit Bewohnern zu füllen, 
hatte Romulus sie zu einer Freistatt (Asyl) für Flüchtlinge und 
Verbrecher, sogar für Sklaven gemacht, die ihren Herren entlaufen 
waren. Es war kein Wunder, daß die Nachbarvölker mit den Römern 
nicht in engere Verbindung treten wollten und es ablehnten, ihre 
Töchter an Römer zu verheiraten, fodaß in Rom nur wenig Bürger 
beweibt waren. Da veranstaltete Romulus ein herrliches Fest mit 
Kampfspielen zu Fuß und zu Roß und lud alle Nachbarn ein, mit 
ihren Frauen und Töchtern das Fest zu besuchen. Neugierig folgten 
sie der Einladung, besonders zahlreich die S a b i n e r. Auf ein 
Zeichen des Romulus wurden die Spiele, die in der Ebene vor 
den Toren stattfanden, plötzlich unterbrochen; die Römer stürzten 
sich auf die Frauen und Töchter ihrer Gäste, und jeder schleppte 
seinen Raub in die feste Stadt. 
Aus diesem Raub der Sabinerinnen entspann sich 
ein erbitterter Krieg. Als vor den Toren Roms eine blutige Schlacht 
im Gange war, warfen sich, aus der Stadt heraneilend, die ge- 
raubten Sabinerinnen zwischen die Schwerter der Kämpfenden 
und bewirkten dadurch, daß einerseits ihre Väter und Brüder, 
anderseits ihre Gatten den Kampf einstellten. Hieran schloß sich 
eine Versöhnung und bald eine Verbrüderung: aus Römern und 
Sabinern wurde ein einziges Volk, über welches neben Romulus 
auch der Sabinerkönig herrschen sollte. 
Da dieser bald starb, führte Romulus die Regierung allein 
bis an sein Lebensende. Durch glückliche Kriege gegen die Nach- 
barn erweiterte er das Gebiet des jungen Staates. Bei der Re¬ 
gierung stand ihm zur Seite der Senat, der Rat der Greise, 
von dessen Mitgliedern, den Senatoren, je hundert der la- 
tinischen und der sabinischen Bürgerschaft als Familienälteste an- 
gehörten. In wichtigen Fragen berief der König mitunter eine
	        
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