VI. Die Flucht nach Memel. 
17 
sagte der König, „denn vielleicht findet sich an Deinem 
Geburtstage nicht die nötige Zeit dazu." Denn es ist 
Sitte, daß die Prinzen aus dem königlichen Hause, wenn 
sie 10 Jahre alt werden, als Offiziere in die Armee ein- 
treten. 
Noch zu schwach zum Gehen, wurde die Königin bei 
fürchtlichem Sturm und Schneegestöber in den ersten 
Tagen des Januar in ihren Reisewagen hinabgetragen, 
um nach Memel zu fahren. Der Weg führte hart an der 
Küste der Ostsee entlang über eine zwanzig Meilen lange, 
sehr schmale Landzunge, die kurische Nehrung, deren hohe 
Sanddünen das offene Meer von einem Strandsee, dem 
Haffe, nennen. Nur wenige Fischer bewohnen in ärm- 
lichen Dörfern den unfruchtbaren Sand der Nehrung. 
Drei Tage und drei Nächte währte die Reise. Am 
Tage fuhr man teils durch die Sturmwellen des Meeres, 
teils durch das brechende Eis der Lachen am Strande, die 
Nächte ruhte man in den elendesten Herbergen. Die erste 
Nacht lag die Königin in einer Stube, wo die Fenster 
zerbrochen waren, und der Schnee ihr auf das Bette ge- 
weht wurde. „So hat noch keine Königin die Not em- 
pfunden!" seufzten ihre Reisebegleiter, von der ängstlichen 
Besorgnis zugleich gequält, daß ein plötzliches Ende die 
kaum genesene, hohe Frau hinwegnehmen könne. Aber sie 
selbst erhielt ihren Mut und ihr Vertrauen auf Gott auf- 
recht, tröstete und belebte alle. Endlich erblickten die Rei- 
senden Memel am jenseitigen Ufer des Haffes. Zum ersten 
Male seit mehreren Tagen brach die Sonne durch die Wol- 
ken und beleuchtete mild und schön die Stadt. Breite 
Pfeifer, Kaiser WilhelmI. 2
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.