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X. Die Kaiserproklamation.
Feinde nicht besser ergehen möge. Wie, um ihn recht
fröhlich zu stimmen, drang eben zu dieser Stunde kecke
Militärmusik zu ihm herauf, und als er ans Fenster trat,
fiel sein Blick auf 65 Fahnen und Standarten, welche
zum Schlosse gebracht wurden.
Gegen Mittag fuhr der König, trotz des häßlichen
Wetters im offenen Wagen, der heute mit vier Rappen
bespannt war, unter dem Hurra der in der Straße auf
und ab gehenden, dienstfreien Soldaten zum Schlosse. Dort
stand auf dem Hofe die Ehren-Kompagnie vom Regiments
der Königs-Grenadiere. Wie es seinen pünktlichen und
strengen Gewohnheiten entsprach, schritt der König erst
die Front derselben entlang, bevor er ins Schloß trat.
Vor dem Fahnenträger blieb er stehen und ließ sich die
Fahne reichen. Sie war in der ersten Schlacht des Krie-
ges, beim Sturme auf das Geisberg-Schloß vorangetragen
und dabei mitten entzwei geschossen worden, so daß jetzt
nur der obere Teil derselben zur Stelle war und dem
Könige gereicht wurde. An jenem Tage war sie in fünf
verschiedenen Händen gewesen, da ein Träger nach dem
anderen, tödlich verwundet, zusammenbrach. Als der König
sie betrachtete, bemerkte er an ihr noch Spuren von dem
Blute jener Tapferen. Er gab sie zurück und sagte, tiefen
Ernst im Antlitze, zu dem Unteroffizier: „Die halte ja
immer hoch!" Es mochte ihm wohl durch die Seele ziehen,
wie viele Taufende in diesem Kriege ihr Leben dahinge-
geben und das Reich, das er jetzt verkünden wollte, mit
ihrem Blute erkauft hatten. Dann wandte er sich zum
Schlosse; am Portale vom Kronprinzen empfangen, stieg