Full text: Deutsche und brandenburgisch-preußische Geschichte von 1648 bis 1815 (Teil 2)

Preußen unter dem Drucke der Fremdherrschaft. 
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hatte seinen Zweck vollkommen erreicht: die preußischen Rüstungen waren unter¬ 
brochen, und der größte Teil des französischen Heeres war für den Krieg mit 
Österreich frei geworden. Friedrich Wilhelm III. zögerte zwar, diesen Vertrag 
anzunehmen, aber da Napoleon im Oktober 1808 sein schon wankendes Bündnis 
mit Rußland auf dem Fürstentage zu Erfurt noch einmal befestigte, mußte 
er sich schließlich doch fügen?) 
3. Bis zum November hatte Friedrich Wilhelm die von Napoleon 
geforderte Entlassung Steins hinausgeschoben. Als nun aber Österreich 
eine vertrauliche Anfrage des Königs, ob es bereit sei, die Waffen sogleich 
zu ergreifen, ausweichend beantwortete, war Stein nicht mehr zu halten; am 
24. November 1808 nahm er seine Entlassung und mußte, da er von Napoleon 
geächtet ward, Preußen verlassen. 
Anmerkung. Der Freiherr wandte sich zunächst nach Österreich, da aber das eng¬ 
herzige Regiment des argwöhnischen Kaisers Franz für die geniale Größe dieses „preußischen 
Jakobiners" keine Verwendung hatte, mußte der Freiherr die nächsten Jahre in un¬ 
tätiger Zurückgezogenheit (in Troppau) verbringen. 
„Steins Fall war ein schlechthin unersetzlicher Verlust für Preußens 
inneres Leben, noch Jahrzehnte lang hat der Staat die Folgen dieses Schlages 
empfunden. . . . Alsbald nach Steins Abgang geriet sein Reformwerk ins 
Stocken. Alle die bedeutenden Talente, die unter ihm gearbeitet, vermochten 
nichts mehr, seit sein belebender mächtiger Wille fehlte." (Treitschke.) 
4. Da Preußen, solange das Reformwerk noch nicht vollendet war, 
eines leitenden Staatsmanns bedurfte, eine solche Kraft aber nicht vorhanden 
war, behalf man sich einstweilen mit einer kollegialen Ministerregierung. 
Aber weder der Minister des Innern (Dohna) noch der Finanzminister 
Altenstein zeigte sich der Lage gewachsen. „Die Regierung geriet allmählich 
wieder in denselben Zustand wohlwollender Untätigkeit wie vor der Jenaer 
Schlacht." Als Altenstein dem Könige vorschlug, zur Beseitigung der un¬ 
erträglichen Finanznot Schlesien abzutreten, übertrug dieser die Leitung des 
Staatswesens an Hardenberg (1810), der sich für sein Amt mit außer¬ 
gewöhnlichen Vollmachten (Staatskanzlerschaft) ausrüsten ließ. So groß aber 
auch die Vorzüge dieses talentvollen Staatsmannes waren, sein außer¬ 
ordentliches diplomatisches Geschick, die erstaunliche Beweglichkeit seines Geistes, 
seine treue, echt preußische Staatsgesinnung, so war er dennoch nicht der 
Mann, die Neuordnung des in Verwirrung geratenen Staatswesens im Geiste 
Steins durchzusetzen, „der echt deutsche Grundgedanke des Steinschen Reformwerkes, 
die Idee der Selbstverwaltung, ließ ihn immer kalt. . . . Eine wohlgeordnete 
Bureaukratie, beschränkt und beraten durch eine nicht allzu mächtige reichsständische 
Versammlung, sollte das freie Spiel der entfesselten sozialen Kräfte in Ordnung 
halten". Sein feindseliger Gegensatz zu den Männern der Steinschen Richtung 
(Niebuhr, Humboldt, Schönu.a.), seine leichtherzigen Finanzoperationen (Gründung 
einer Nationalbank, Steuerreform, Säkularisation der geistlichen Güter re.) und 
seine verfehlten Versuche zur Einführung einer Verwaltungsordnung nach fran¬ 
zösischem Muster (Gendarmerieedikt, Landesdeputiertenversammlung) trugen 
nur dazu bei, die innere Lage noch mehr zu verwirren und allenthalben 
entrüsteten Widerstand hervorzurufen. (Opposition der Junker unter der 
Führung des Herrn von der Marwitz.) 
0 Genaueres über den Fürstentag zu Erfurt und seine Bedeutung bei Häusser 
a. a. O. III. Bd. S. 193 ff.
	        
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