§ li. Die Auflösung der karolingischen Reichseinheit. 45
gelang es ihm, alle von Deutschen bewohnten Lande außer Westflandern
unter seiner Herrschaft zu vereinigen, weshalb ihm von Geschichtsschreibern
des nächsten Jahrhunderts der Beiname der „Deutsche" gegeben wurde.
Lothar nämlich war im Jahre 855 gestorben. Er hatte sein Reich
dergestalt geteilt, daß Ludwig II. die Kaiserkrone mit Italien, Lothar
die nördliche Hälfte des Zwischengebietes (Lotharingien, Lothringen)
und Karl die südliche erhielt. Als die beiden letzten keine männlichen
Erben hatten, bemächtigten sich Ludwig und Karl der Kahle ihrer Länder.
Durch den Vertrag von Merseu (bei Mastricht) empfing jener die Ost- Vertrag von
Hälfte Lothariugieus; die Westhälfte (und damit die Schelde- und 5Dierfen 87°-
obere Maasgrenze) gewann einer seiner drei Söhne, Ludwig der
Jüngere, hinzu. Kirche und Laien litten so sehr unter den anhaltenden
Verheerungen der Normannen und Sarazenen, daß sie den jüngsten
Sohn Ludwigs (des Deutschen), Karl den Dicken, die alleinige Herr- Karl in..
schaft über das ganze Reich zuwandten (884). Mehr zu diplomatischenber ®aetn*
Verhandlungen als zu thatkräftigem Handeln geneigt, zahlte dieser den
riesigen Nordlandssöhnen lieber hohe Geldsummen statt Schwertesschläge.
Entrüstet setzten ihn die Großen zu Tribur (bei Darmstadt) ab (887). Abgesetzt 88?.
Ein Jahr darauf starb er (888).
b. Die unechten Karolinger. Jetzt erhoben die westfränkischen Großen Arnulf 887-899.
den Grafen Odo von Paris, die ostfränkischen Arnulf von Kärnten,
einen unechten Sohn Karlmanns, des ältesten Sohnes Ludwigs (des
Deutschen), auf den Thron. Wie bereits in den Rhonelandschaften
Graf Boso ein selbständiges Reich gegründet hatte (879, Nieder- Nieder-und
burgitnd, Arelate), richtete jetzt Graf Rudolf ein solches in Hoch- H^urgund.
bnrgnnd auf. Arnulf vernichtete an der Dyle (bei Löwen) ein Nor-
mannenheer und gewann die Kaiserkrone. Ihm folgte sein Sohn Ludwig Ludwig das Kind,
„das Kind", ein kaum siebenjähriger Knabe, für den vor allem Hatto 899~911'
von Mainz die Regierung führte. Wilder Kampf der Großen unter
einander und furchtbare Einfälle der Magyaren, die das mährische Reich Äußere Not.
zu Falle brachten, zerrütteten Ostfranken.
Die Not der Zeit begünstigte das Wiedererstehen der von Karl d. Gr.
und seinen Vorgängern abgeschafften Volksherzogtümer. Durch Tie neuen Volks-
Mehrung ihres Grundbesitzes, längere Verwaltung von Grafschaften Setiogtumet.
und den Sondergeist der Stämme begünstigt, war eine Reihe mächtiger
Geschlechter aufgekommen, von denen wieder die einflußreichsten die
Stellung von Herzögen errangen. In Sachsen hatten die Lindol-
finger, in Bayern Arnulf, in Schwaben Erchanger und Bert-
hold, zwei Brüder, die Herzogsgewalt inne. In Franken fiel sie nach
hartnäckigem Kampfe zwischen den Konradinern und Babenbergern
den erstereu zu, in Lothringen Reginar und nach ihm seinem Sohne
Giselbert. Die Selbständigkeit der neuen Herzogtümer war so groß,
daß Ostfranken beinahe in fünf Teilstaaten zerfiel. Als Ludwig das