Full text: Quellen-Lesebuch für den Unterricht in der vaterländischen Geschichte

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@turm gaben am Nachmittag ihm das Geleite und führten ihn durch 
heimliche Gänge auf das Rathaus, damit ihm vom Volke, welches sich auf 
dem Wege in Menge versammelt hatte, nichts widerführe. Gleichwohl 
wurden es viele inne, die liefen herzu und wollten mit hineindringen, 
aber die Trabanten trieben sie mit Gewalt ab. Viele stiegen aus die 
Dächer und Häuser, um Dr. Martinus zu sehen. Ehe er in die Ver- 
sammlung hineinging, klopfte der Ritter Georg von Frundsberg ihn 
mit der Hand auf die Schulter und sagte: „Mönchlein, Mönchlein, du gehest jetzt 
einen Gang, einen solchen Stand zu thun, dergleichen ich und mancher Oberste 
auch in unserer allerernstesten Schlachtordnung nicht gethan haben. Bist 
du auf rechter Meinung und deiner Sache gewiß, so fahre in Gottes 
Namen fort und sei nur getrost, Gott wird dich nicht verlassen." 
Als Luther in die Versammlung trat, hielt ihm der kaiserliche Orator 
(Sprecher) Dr. Johann @<#,*) gemeiner Offizial des Erzbifchofs zu Trier, 
auf kaiserlicher Majestät Befehl mit hoher und vernehmlicher Stimme dies 
vor, erstlich lateinisch, dann deutsch: Kaiserliche Majestät habe aus Bedenken 
und Rat aller Stände des heiligen römischen Reichs ihn vor ihre Majestät 
erfordert, um ihn wegen dieser zwei Artikel zu befragen: ob er sich bekenne, 
daß diese Bücher, welche allda zusammengebunden und ihm gezeigt wurden, 
sein eigen wären, und ob er dieselben und was darinnen wäre wider- 
rufen oder auf denselben beharren und bestehen wolle. Ehe aber Doktor 
Martin antwortete, rief Dr. Hieronymus Schürf, der ihm vom Kurfürsten 
zugegeben war, überlaut und sprach: „Man lese der Bücher Titel!" 
Wie solches geschah, gab Luther folgende Antwort lateinisch und deutsch: 
„Erstlich muß ich die jetzt genannten Bücher für die meinen ja erkennen 
und kann dieselben nimmermehr verneinen. Aber was da folget, daß ich 
anzeigen soll, ob ich zugleich alles verteidigen oder widerrufen wolle? weil 
dies eine Frage vom Glauben und der Seelen Seligkeit ist und Gottes 
Wort belanget, welches der größte und höchste Schatz im Himmel und auf 
Erden ist und wir billig allesamt in höchsten Ehren halten sollen: so 
wäre es vermessentlich und gefährlich von mir gehandelt, etwas Unbe- 
dächtiges anzuzeigen, sintemal ich weniger, denn es die Sache erfordert, 
oder mehr, denn es der Wahrheit gemäß wäre, unbedacht oder unbesonnen 
behaupten und für gewiß sagen könnte, welches beides mich in das Urteil 
bringen würde, das Christus gefällt hat, da er sagt: Wer mich vor den Menschen 
verleugnen wird, den will ich vor meinem himmlischen Vater auch verleugnen. 
Derhalben bitte ich von kaiserlicher Majestät aufs allerunterthänigste und 
demütigste Bedenkzeit, auf daß ich ohne Nachteil Gottes Worts und ohne 
*) Nicht zu verwechseln mit dem Jngolstädter Eck, mit dem Luther zu Leipzig 
disputiert hatte. Der Offizial ist der geistliche Stellvertreter eines Bischofs in weltlichen 
Gerichtsangelegenheiten.
	        
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