72 Erster Abschnitt. Geschichte des Altertums.
wegliche Frankenvolk am Mittel- und Niederrhein zerfiel in Nieder-
franken oder Salier (westlich des Rheins von Köln bis zur Wala),
Ripuarier (an beiden Rheinufern) und Ober- oder Ost franken (an
Main, Sieg und Diemel). Die an der Väter Art am zähesten fest-
haltenden Sachsen in der norddeutschen Tiefebene teilten sich später
in Westfalen (von Lippe bis Weser), in Engern (zu beiden Seiten
der Weser) und in Ostfalen (von da bis zur Elbe). An die über-
elbischen Sachsen schlössen sich, furchtbar durch kühne Seeräuberfahrten,
die Angelsachsen. Die Alemannen eroberten und besetzten schließ-
lich alles ehemals römische Land zwischen Alpen, Jura, Vogesen und
Main, und neben ihnen, vom Lech bis gen Wien, nahmen die Bayern
(Bajuvarier) die römischen Donauprovinzen ein. Neben den Sachsen
saßen die Thüringer vom Harze südlich und am Böhmerwalde ent-
lang bis zur Donau, zwischen Thüringern und Alemannen bis Worms
die Burgunder. Die Goten, ausgebreitet in den weiten Ebenen
Osteuropas, erschienen als Ostgoten in der Ausdehnung vom
Schwarzen bis zum Baltischen Meere, als Westgoten an der untern
Donau, südlich und östlich von den Karpathen, furchtbar durch Plün-
derungszüge nach dem Süden in das byzantinische Reich.
Bedeutung und Gang der Völkerwanderung.
§ 50. Die Geschichte der sogenannten Völkerwanderung ist die Ge¬
schichte der Besied elung Europas durch dieGermanen, deren Wanderungen
im Grunde schon mit dem Kimbernzuge in das Licht der Geschichte
treten, in den folgenden Jahrhunderten zunehmen und im 5. Jahr-
375.hundert am gewaltigsten werden. Der Einbruch der Hunnen, eines
türkischen Nomadengeschlechts aus dem nordwestlichen Hochasien, wälzt
wie ein ungeheurer Weltensturm die germanischen Völkerfluten nament-
lich des Ostens über das römische Reich. Diese zertrümmern den
verwitterten römischen Staatsbau, dabei werden die naturkräftigen ger-
manischen Völker mit der christlichen Wahrheit und der römischen
Kultur befruchtet, und es wird dadurch ein neues Weltalter herauf-
geführt. Die anstürmenden Hunnen reißen die Ostgoten mit sich fort
auf die Westgoten, von denen die heidnisch gebliebenen Stämme
in die Karpathen, die dem Christentum zugeneigten über die Donau
in das römische Reich versprengt werden. Kaiser Valens übergibt
ihnen die Hut der Grenze und nötigt sie zur Annahme des arianischen
Bekenntnisses; doch treulose Behandlung durch die römischen Statt-
Halter reizt sie zu einem furchtbaren Aufstande, in welchem die Römer
bei Adrianopel eine Niederlage erleiden, die Kaiser Valens das
Leben kostet und das Reich an den Rand des Verderbens bringt. Der
nachfolgende Kaiser Theodosius der Große zwingt mit Tapferkeit
und Klugheit Goten durch Goten, erringt mit gotischer Kraft die
Alleinherrschaft und verleiht dem Römerreiche den letzten Glanz. Nach
feinem Tode erhält sein Sohn Arkadius den Osten, Honorius den