6 Das griechische Heldenzeitalter.
Die damaligen Griechen standen unter dem Einfluß des Morgen¬
landes. Phönizier und Ägypter waren ihre Lehrmeister. Von ihnen
lernten sie die Seefahrt, den Bergbau, die Kunst des Webens, Färbens
und Schmiedens, die Herstellung kunstvoller, auf der Scheibe gearbeiteter
Tongefäße, die Anfertigung von Gold- und Bronzegegenständen. „Fremde
Kaufleute brachten Anregung und Kenntnis auf allen Gebieten des
Lebens. Nun war die Verbindung des Abendlandes mit dem Orient
hergestellt, die Mittelmeerwelt war in den Kreis des geschichtlichen und
kulturellen Lebens hineingezogen, das bisher auf Ägypten und Vorder-
asien beschränkt war." Die Griechen aber unterlagen jenen fremden
Einflüssen nicht; sie bildeten die vom Morgenlande erhaltenen An-
regnngen selbständig fort. — Die Sage führt die morgenländischen
Einflüsse auf bestimmte Persönlichkeiten zurück, die in Griechenland ein-
gewandert sein sollen. Danach kam Kadmus aus Phönizien nach
Mittelgriechenland. Er gründete die Burg Kadmea und damit die Stadt
Theben. Cekrops aus Unterägypten erbaute die Burg Cekropia in
Attika, aus der Athen erstand. Pelops aus Lydien kam nach Süd-
griechenland, das nach ihm Peloponnes genannt wurde. Danaus aus
Oberägypten siedelte sich in Argos an.
II. Das griechische Heldenzeitalter.
Was das griechische Volk in grauer Vorzeit in Kämpfen und Ge-
fahren zu Lande und zu Wasser geleistet, die Fortschritte, die es in
langen Zeiträumen auf allen Lebensgebieten gemacht, die durch Natur-
mächte bewirkten Veränderungen: alles das schrieb die Sage mit über-
menschlichen Kräften begabten Helden, Halbgöttern, zu. Diese, größer
und herrlicher als die Menschen, denen sie an Gestalt glichen, begründeten
durch ihre gewaltigen Taten Ordnung und Gesittung und wurden so
zu Wohltätern der Menschheit. Bald berichten die nationalen Sagen
von gewaltigen Taten einzelner Helden, bald von gemeinsamen Unter¬
nehmungen griechischer Helden zu Lande und zu Wasser. Eine zu-
sammenhängende Gestaltung der Heldensage wurde wie die der Göttersage
erst später durch Volkslied, Epos und Drama hergestellt. Auch die
bildende Kunst trug viel zur Verbreitung gleichmäßiger Vorstellungen von
Helden und Göttern bei.
§. 3. Sagenhafte Taten einzelner Helden.
a. Die Heraklessage. Herakles (Herkules), der Söhl des Zeus
und £>££ Alkmene, Königin von Mycenä, hatte während seines ganzen
Lebens unter dem Haß der Hera zu leiden. Der kraftvolle Jüngling,
der schon als Kind zwei starke, von Hera geschickte Schlangen erwürgt
hatte, verließ Mycenä. An einem Scheidewege fand er die Göttinnen
der Tugend und des Lasters, die ihn aufforderten, ihnen zu folgen.