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durch die allein jenes Volk die Erinnerung vergangener Zeiten lebendig er¬
hält, singen sie von einem erdgeborenen Gotte Tuisko und seinem Sohne
Mannus, den Stammvätern und Gründern ihres Geschlechts. Ich trete
der Meinung derer bei, welche glauben, daß Germaniens Bevölkerung nicht
durch Ehen mit fremden Stämmen entartet sei, sondern als ein besonderer,
nnvermischter und nur sich selbst ähnlicher Volksstamm dastehe. Daher trotz
der großen Anzahl der Menschen dieselbe Körperbildung, dasselbe trotzig
blickende blaue Auge, das rotblonde Haar, der gewaltige Wuchs der Leiber,
die freilich nur zu kriegerischem Angriff geschaffen, ohne Ausdauer in Mühe
und Arbeit und am wenigsten fähig sind, Durst und Hitze zu ertragen, an
Kälte und Hunger dagegen durch Himmel und Boden gewöhnt.
Liegt der Germane nicht zu Felde, so verbringt er seine Zeit mit Jagd,
mehr noch im Müßiggang, mit Schlafen, Essen und Trinken. Gerade der
tapferste und kriegslustigste Mann liegt in träger Ruhe; die Wirtschaft und
Pflege des Hauses, die Bestellung des Ackers bleibt den Weibern, den Alten
und Schwachen der Familie überlassen. Seltsamer Widerspruch der Natur,
daß dieselben Menschen so sehr die Trägheit lieben und doch die Ruhe hassen!
Daß die Völker Germaniens keine Städte bewohnen, daß sie selbst an¬
einander gebauten Häusern abhold sind, ist zur Genüge bekannt. Abgesondert
und zerstreut siedeln sie sich an, wo gerade ein Quell, ein Feld, ein Hain
zur Ansiedlung einlud. Die Dörfer legen sie nicht wie wir in geschlossenen
Häuserreihen an; mit einem freien Raum umgibt jeder fein Haus, sei es
gegen Feuersgefahr, oder weil man es überhaupt nicht besser versteht. Auch
Steinbau und Ziegeldach sind nicht bekannt. Alles ist von Holz, plump und
ohne Rücksicht ans Form und gefälliges Aussehen. Doch übertünchen sie
einzelne Teile des Baues mit einer Art Ton von so reiner und glänzender
Farbe, daß es wie Malerei aussieht. Auch pflegen sie unterirdische Höhlen
zu graben, die sie als Zuflucht für den Winter und Aufbewahrungsort für
die Feldfrüchte mit Dung bedecken. Ein solcher Bau macht die Strenge des
Winters erträglich. Fällt aber der Feind ins Land, so verheert er doch nur,
was offen daliegt; jene verborgenen Schätze in der Tiefe ahnt er entweder
nicht, oder sie entgehen ihm schon deswegen, weil sie gesucht sein wollen.
Als Volkstracht dient allgemein ein Mantel, der durch eine Spange
oder, wenn diese fehlt, einen Dorn zusammengehalten wird. Im übrigen
unbekleidet, liegen sie ganze Tage lang am Herdfeuer. Die Wohlhabenden
zeichnen sich durch ein Gewand aus, das eng anliegend die einzelnen Glied¬
maßen erkennen läßt. Auch Tierfelle trägt man am Rheinufer ohne sonderlichen
Schmuck, weiter im Innern aber nicht ohne wählerischen Geschmack, weil kein
Handelsverkehr dorthin sonstigen Schmuck bringt. Man sucht die Tierart
sorgfältig aus und verbrämt die Pelze mit Fellstücken von Tieren, die vom
fernen Ozean und von unbekannten Gestaden kommen. Die weibliche Tracht
unterscheidet sich von der männlichen nicht. Nur trägt die Frau häufiger ein
linnenes Gewand, das sie mit einem Purpurstreifen ziert.
Die Ehe wird heilig gehalten, und in keiner Hinsicht sind ihre Sitten
mehr zu loben. Denn fast allein unter allen Barbaren treiben sie keine
Vielweiberei. Eine Mitgift bringt nicht die Frau dem Manne, sondern der
Mann dem Weibe. Eltern und Verwandte sind bei der Überreichung zugegen
und prüfen die Geschenke, Gaben, nicht auf die weibliche Eitelkeit berechnet,
noch zum Putz für die Neuvermählte bestimmt, sondern Rinder, ein ge-