182 Neue Geschichte.
lang beschossen. Freilich protestierten die Franzosen gegen die Verletzung
der „heiligen Stadt", aber vergebens; fast sämtliche Stadtteile auf
dem linken Seineufer wurden niedergeschmettert; die Granaten machten
die Straßen unpassierbar, eine platzte am 9. Januar mitten unter den
Kirchgängern. Zu dieser steten Gefahr kam andere Not: am ersten
ging das Gas aus, und die Stadt war abends dunkel; dann kam der
Mangel an Holz und Kohlen. Seit dem 18. Januar erhielt jeder
Bewohner nur 300 Gramm Brot, wovon nur der dritte Tetl Roggen
war, dazu 30 Gramm Pferdefleisch. Durch die Entbehrungen und
Krankheiten, namentlich die Pocken, stieg die Sterblichkeit aufs höchste,
fast alle Familien hatten Trauer. Als Trochu die Unmöglichkeit eines
längeren Widerstandes erkannte, nahm er seine Entlassung.
Am 24. Januar erschien Favre im deutschen Hauptquartiere, um
Ls. Jan.über die Kapitulation zu unterhandeln, und am 28. Januar wurde zwischen
1871 ihm und Bismarck ein Waffenstillstand abgeschlossen, nach welchem die
Pariser Forts den deutschen Truppen eingeräumt und sämtliche Linientruppen
und Mobilgarden in Paris kriegsgefangen sein sollten, bis nach 14 Tagen
eine zu berufende „konstituierende Versammlung" weiter verhandeln würde.
5. Errichtung des deutschen Kaiserreichs. Kurz vor dem Abschluß
dieses Waffenstillstandes war mitten im feindlichen Lande das
deutsche Kaiserreich wieder aufgerichtet. Durch die Waffenbrüderschaft
der deutschen Völker war unter diesen das Gefühl der Zusammengehörigkeit
mächtig erwacht. Auf den Wunsch der süddeutschen Staaten wurde die
Verfassung des norddeutschen Bundes auch hier eingeführt. Dadurch
wurden die Königreiche Baiern und Württemberg, sowie die Groß-
Herzogtümer Baden und Hessen mit den übrigen deutschen Staaten
gesetzlich verbunden. Da boten auf Anregung des Königs Ludwig II.
von Baiern die deutschen Fürsten und freien Städte dem siegreichen
Könige Wilhelm die deutsche Kaiserkrone an. Abgeordnete des
norddeutschen Reichstages brachten dem Könige die Glückwünsche des
1871 deutschen Volkes nach Versailles, wo dieser am 18. Januar 1871
zum Kaiser des deutschen Reiches ausgerufen wurde. Es erfüllte
sich das Wort Friedrich Wilhelms IV.: „ Eine Kaiserkrone kann nur auf
dem Schlachtfelde errungen werden."
Die Feier fand im Spiegelsaale des Schlosses zu Versailles statt. Hier war
ein Altar errichtet, dessen Decke das Zeichen des eisernen Kreuzes trug. Auf beiden
Seiten standen Abgeordnete der Armee mit den Fahnen. Um 12 Uhr trat König
Wilhelm in den Festsaal ein und nahm vor dem Altare Platz, im Halbkreise um
ihn her die Prinzen und Fürsten. Sänger sangen den Chor: „Jauchzet dem Herrn
alle Welt", und darauf die Gemeinde: „Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut" 2c.
Nach der Festrede und dem Gesänge „Nun danket alle Gott" verlas der König vor
den Fahnen die Urkunde der Verkündigung des Kaiserreichs. Dann rief der Groß-
herzog von Baden mit lauter Stimme: „Se.-Majestät der Kaiser lebe hoch!" und
die Versammlung stimmte begeistert dreimal ein.
6. Are Kommune. In Paris herrschten nach dem Waffenstill-
stände schlimme Zustände. Mehrere hunderttausend Mann der Arbeiter-
bevölkerung bemächtigten sich einer Anzahl von Kanonen, nahmen das
Stadthaus und setzten aus ihrer Mitte eine neue Regierung, die Kom-