Full text: Mittlere und neue Geschichte bis 1648 (Teil 2)

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Mittlere Gesch ichte. 
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Hastesten Dinge gegessen wurden. Viele verloren den Mut und wollten 
wieder umkehren, unter ihnen auch Peter von Amiens; aber er 
ward ertappt und zurückgeführt. Die Fürsten beschlossen, die Belagerung 
nicht aufzuheben , und suchten durch Wort und That die Ihrigen zu er¬ 
mutigen. Bei einem Ausfall hieb Gottfried einen Türken mitten durch, 
daß die Oberhälfte zur Erde fiel, die Unterhälfte aber im Sattel blieb 
'und zum Entsetzen der Feinde zur Stadt zurückjagte. Endlich brachte 
eine Flotte aus Genua neue Pilger und Lebensmittel. Das Jahr 1098 
brach an, aber die Belagerung hatte noch keine Fortschritte gemacht. Da 
erscholl plötzlich die Kunde, der Sultan Kerbogal rücke mit einem 
Heere von 200 000 Seldschucken zum Entsätze von'Antiochien heran. In 
dieser Not ermannten sich die Kreuzfahrer" zur Eroberung der Stadt; 
mittelst Strickleitern erstiegen sie in der Nacht die Mauern. Aber es 
fanden sich in der Stadt nur wenige Vorräte an Lebensmitteln; drei 
Tage nach der Einnahme rückte das große Heer Kerbogas schon heran, 
und so wurden aus den Belagerern Belagerte. Hungersnot stellte sich 
ein; alle sahen den sicheren Tod vor Augen. Da erschien ihnen ein 
Retter in einem Geistlichen, namens Petrus Bartholomäus. Er 
erzählte eines Morgens, der Apostel Andreas sei ihm in der Nacht vier¬ 
mal im Traume erschienen und habe ihm gezeigt, wo in der Petrikirche 
die Lanze verborgen liege, mit welcher die Seite des Herrn durchbohrt 
sei. Man grub an der bezeichneten Stelle nach und fand wirklich eine 
in Purpur gehüllte Lanze. Da war das ganze Heer von neuem Mute 
beseelt und rüstete sich zu einem Ausfalle; vorauf wurde die „heilige 
Lanze" getragen, und weißgekleidete Priester sangen Psalmen.- Die 
Christen stritten mit Verzweiflung und heiliger Begeisterung. Eine un¬ 
zählige Menge der Feinde wurde getötet; das ganze türkische Lager mit 
allen Kostbarkeiten und — was das Wichtigste war — einem großen 
Vorräte von Lebensmitteln aller Art, Pferden und Schlachttieren, fiel den 
Christen in die Hände. 
f. Jerusalem. Im Frühjahre 1099 setzten die Kreuzfahrer ihren 
Weg weiter fort, über Sidon, Tyrus, Akkon und Cäsarea, dann 
über Ramla und Emm aus. Hier erblickten sie endlich am Morgen 
des 7. Juni 1099 die heilige Stadt. Unter Thränen fielen sämt¬ 
liche Kriegsleute auf die Kniee und stimmten Lobgesänge an; alle bisher 
erduldeten Leiden waren nun vergessen. Jerusalem war eine durch Natur 
und Kunst starke Festung; in derselben lag eine ägyptische * Besatzung 
von 40 000 Mann und eine erbitterte Bürgerschaft; die Kreuzfahrer waren 
nur noch 40 000 Mann stark, von denen die Hälfte kampfunfähig war. 
Dennoch stürmten sie sofort mit rasender Wut gegen die hohen Mauern 
und wären in die Stadt eingedrungen, wenn sie nur Leitern gehabt 
hätten. Bei der nun beginnenden Belagerung fehlte es an Holz und 
an Baumeistern, um Kriegsmaschinen zu bauen. Unter der brennenden 
1 Aus Mosul am Tigris, nahe bei den Ruinen Ninives. 2 Die Ägypter hatten 
vor kurzem den Seldschucken Jerusalem entrissen. Der Kalif von Ägypten ließ den 
Kreuzfahrern ein Freundschaftsbündnis anbieten; dasselbe kam aber nicht zustande, 
weil diese die Abtretung Palästinas verlangten.
	        
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