62. Volkssprache, Haus und Hof und volkstümliche Eigenart in unserer Provinz. 175
hochdeutschen Mundarten überhaupt, auch von der zweiten ums
6. Jahrhundert eingetretenen ergriffen worden sind. Bei dieser zweiten
wurden die Tenues der ersten zu Aspiraten, die Aspiraten der ersten
zu Mediä und die Mediä der ersten zu Tenues; also
Niederd. Tied, Thüring. Zied,
„ dat, „ das,
// itf/ ir
„ Peerd, „ Pferd (Färd).
Ebenso charakteristisch ist die EntWickelung mancher Vokale; aus
dem niederdeutschen au (altd. uo) ist im Thüring. ein n geworden,
z. B. niederd. gaud, thür. gud; aus oi ist i geworden: niederd. moid,
thüring. mied (müde); das Fürwort „wir" lautet im Niederd. wie
und im Thüring. mer oder mei; das Niederd. wirft im Partiz. d.
Verg. die Vorsilbe ge ab, z. B.
Niederd. Krocht, Thür, (ge-) jebrocht (gebracht),
,/ dacht, „ (ge-) jedocht (gedacht).
Beide Mundarten zerfallen wieder in mehrere Untermund-
arten. Das Niederdeutsch auf dem Eichsfeld gehört dem englischen,
das östlich von der Oker bis in die Altmark gesprochene dem
ostfälischen Niederdeutsch an. Von dem Thüringischen unterscheidet
man eine nordthüringische, eine ostthüringische und eine südthüringische
Mundart. Das Nordthüringische wird südlich vom Harz in der
Goldenen Aue, bei Nordhausen, auf dem südöstlichen Eichsfeld, bei
Mühlhausen und bis nach Erfurt hin gesprochen. Es hat beim
Infinitiv die Vorsilbe ge und die Endung e, namentlich im westlichen
Teile des Bezirkes, z. B. ich kann gespreche; sie besitzt eine große
Vokalfülle bei einer Armut an Diphthongen, statt der meisten ei, eu,
und au steht noch das ursprünglichere i und n; das s hinter dem r
wird in der Regel in sch verwandelt, z. B. Versch (Vers), Dorscht
(Durst); häufig wird auch nd und nt zu ng, z. B. Kinger (Kinder).
Das Ostthüringische, das östlich einer Linie von Sangerhausen
über Artern, Sömmerda und Berka bei Weimar gesprochen wird,
zeichnet sich im Gegensatz zu dem Nordthüringischen durch reiche
Diphthongierung aus; der Infinitiv lautet auf en oder n aus, und
das g, besonders das anlautende, wird zum j und das anlautende k
zum g erweicht. Hierzu ist auch das Ostsaalische zu rechnen; nur
hat diese Mundart wieder weniger Doppellaute, z. B. Mansfeld
„Baum", Ostsaal. „Bom". Das Südthüringische zeichnet sich
besonders durch die Verkleinerungssilbe „che" aus; während das
Nordthüringische sich in manchen Formen an das benachbarte Nieder-
deutsche anlehnt, geht das Südthüringische in das Fränkische über,
das südlich und südwestlich vom Rennsteig gesprochen wird und das
wieder die Vokalspaltung in ai und au aufweist. Thüringen
nimmt also auch mundartlich eine Mittelstellung in Deutschland
ein, und Berka bei Weimar, wo die Grenzlinien der thüringischen
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