174 VI. Von Karl V. bis zum Ausbruch des 30 jährigen Krieges.
eine besonders drückende empfunden wurde, als sich die Fürsten in
allen wichtigen Maßnahmen den Ratschlägen der Reformatoren, nament¬
lich Luthers unterordneten. Die durch Verwaisung der Klöster und
durch die Aufhebung der großen geistlichen Pfründen freigewordenen
Hirchenqüter wurden eingezogen und meist für wohltätige Zwecke:
zum Besten der Kirche und Schule, zur Gründung von Spitälern und
zur Armenpflege verwendet. Allerdings dienten sie hin und wieder
auch verwerflichen Zwecken, indem sie in die leeren Kassen genu߬
süchtiger Fürsten flössen, und darin bestand das Ungerechte, das der
neuen Ordnung anhaftete.
Eine große Umgestaltung erfuhr das gottesdien st licheLebeu.
Die Messe verschwand; an ihre Stelle trat als unbestrittener Mittel¬
punkt des Gottesdienstes die Predigt. Ferner kam der Gemeinde¬
gesang zur Geltung, während man vorher nur von einem Wechsel¬
gesang zwischen dem Priester und einem besonderen Chor etwas wußte.
Luther selbst schuf aus der Fülle seines glaubensstarken Gemütes herr¬
liche Kirchenlieder. Damit die heranwachsende Jugend zur tieferen Er¬
kenntnis der Glaubenswahrheiten geführt wurde, erfolgte die Vornahme
von Katechifcittonen. Als Anleitung für dieselben schrieb Luther
feinen großen und kleinen Katechismus (1529). Für die Gleichmäßig¬
keit in allen wichtigen Stücken, die Bewahrung der Lehre und die
Aufrechterhaltung der Zucht in den Gemeinden sorgten Kirchen¬
visitationen, die von Luther und seinen Gehilfen ausgeführt wurden.
§ 65.
£tc Reichstage zu Speyer und Augsburg.
1. Nach dem Wormser Reichstag (1521) geriet Karl V. wegen
Mailand und Burgund in Streit mit Franz I. von Frankreich
(§ 69). Infolgedessen verließ er Deutschland und hielt sich eine Reihe
vv, von Jahren in Italien, dem Schauplatz der kriegerischen Ereignisse,
auf. Die auswärtigen Verwicklungen nahmen des Kaisers Aufmerk¬
samkeit ganz in Anspruch und machten eine Sammlung seiner Kräfte
notwendig. Dieser Umstand, sowie der feste Zusammenschluß einiger
lutherisch gesinnten Fürsten (des Kurfürsten Johann des Beständigen
von Sachsen und des Landgrafen Philipp von Hessen n. s. w.) hatten
Reichstag zu zur Folge, daß auf dem Reichstag zn Speyer (1526) ein für die
Reformation höchst günstiger Beschluß gefaßt wurde. Man überließ
es jedem Reichsstand, „sich in Ansehung des Wormser Ediktes zu halten,
wie er es gegenJSott und kaiserliche Majestät zu verantworten sich
getraue". Damit war eine Grundlage für die Bildung evangelischer
Landeskirchen geschaffen. Jeder Fürst konnte nun in seinem Terri-