Full text: Geschichtliches Lesebuch

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Gewanne wurden sodann in streifenförmige, innerhalb jedes Gewannes 
gleich große Stücke zerteilt, und die einzelnen Felder wurden den 
Bebauern durch das Los zugewiesen. Das Landgebiet des einzelnen, 
die Hufe, lag also durch die ganze Dorfgemarkung hin zerstreut; 
die Grundstücke lagen im Gemenge. Diese zerstreute Lage der 
Grundstücke erschwerte natürlich die Bestellung des Ackers. Aber 
noch mehr wurde die Wirtschaft des Bauern durch einen anderen 
Umstand betroffen. Das Gewanne enthielt nämlich keine Wege, 
sondern war ein geschlossenes Stück. Die notwendige Folge war, 
daß alle Dorfgenossen, um sich nicht zu stören, zu gleicher Zeit 
bestellen, säen, ernten mußten, was wiederum nur möglich war bei 
Anbau derselben Frucht. Eisern herrschte der Flurzwang: die 
Gesamtheit der Dorfgenossen bestimmte, welche Felder bestellt werden, 
welche brach liegen sollten; die Gesamtheit der Dorfgenossen entschied 
über die anzubauende Fruchtart. 
Erst zur Zeit der Hohenstaufen fing der Landmann an, sich 
vom Flurzwange freizumachen. Damals machte man nämlich in den 
Gebirgswäldern Mitteldeutschlands und in den nordwestlichen Moor¬ 
strichen Land, das bisher unbenutzt gelegen hatte, urbar, und in 
den neuen Anlagen wurde die Gewannenverfassung vermieden. Dem 
Gebirgsbache entlang oder durch den Bruch hindurch zog man eine 
feste Straße; an ihr wurde in gewissen Entfernungen Hof an Hof 
gebaut, und jedem Hofe wurde das ihn umgebende Land zugewiesen, 
So entstanden lange Ackerstreifen von bedeutender Ausdehnung. In 
den Tälern Mitteldeutschlands lassen sich jene Dörfer, die sog. 
Fadendörfer, noch deutlich erkennen; stundenweit ziehen sie sich 
dahin, meistens mit schönen Wiesen im Grunde, mit reichen Getreide¬ 
feldern jenseit des Straßendammes, mit Weide und Wald an der 
äußeren Grenze der Feldmark. 
Natürlich war den Bauern die einheitliche Hufe lieber als die 
zerstreut liegende; jeder tüchtige Wirt mußte sich nach Einführung 
der einheitlichen Hufe sehnen, und sehr viele Kolonisten zogen eben 
darum nach dem Osten, weil sie wußten, daß sie dort, wo das Land 
neu aufgeteilt wurde, auch eine zusammenhängende Hufe erhalten 
konnten. 
Dazu kam ein zweiter Beweggrund. Im alten Deutschland 
versuchten die Grundherrn, welche durch Rodung und Anpflanzung 
den Wert ihres Landes steigern wollten, möglichst gewandte Arbeiter 
heranzuziehen, und solche konnten sie nur dadurch erhalten, daß sie 
die neuen Arbeiter günstiger stellten als die übrigen. Sie wurden 
nicht hörig, sondern bekamen das Land in Erbpacht (s. S. 90), und 
da die Höhe der Erbpacht ein für allemal festgesetzt war, dagegen 
der Ertrag der Hufen mit der Zeit größer wurde, die Grundrente 
also immer mehr stieg, erschien der Leihzins bald außerordentlich 
gering. Die Herren, welche Ansiedler nach dem Osten riefen, sahen 
sich veranlaßt, auch diesen eine freie Erbpacht zuzugestehen, und 
auch dadurch wurden viele Landleute veranlaßt, dorthin auszuwandern. 
(Nach Lamprecht.)
	        
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