Full text: Geschichtliches Lesebuch

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nicht, den geächteten Abgeordneten später, wenn sie ihn trafen, an¬ 
zugreifen. Gewiß entging er nicht einem Hagel von Schimpfreden 
und Drohungen. „Er ist ein Hallunke, ein Schurke, ein Verräter !“ 
„Er wird vom König bezahlt!“ „Wir müssen ihn an die Laterne 
hängen.“ Oft wurde der Abgeordnete sogar tätlich angegriffen; man 
bewarf ihn mit Steinen und Kot, man setzte ihm mit Faustschlägen 
zu, man schwang den Säbel über seinen Kopf, drang in seine 
Wohnung ein und warf alles durcheinander. 
Sturz des Königtums. 1791 war die Nationalversamm¬ 
lung auseinandergegangen, da sie ihre Aufgabe gelöst hatte; Frank¬ 
reich besaß ja nun eine neue Verfassung. An ihrer Stelle war die 
Gesetzgebende Versammlung zusammengetreten, jene Kammer, welche 
nach der neuen Verfassung in Zukunft die gesetzgebende Gewalt be¬ 
sitzen sollte. Während die Legislative tagte (1791—92), gelang es 
den Jakobinern, Schritt für Schritt immer mehr Boden zu gewinnen. 
Zunächst eigneten sie sich die militärische und die bürgerliche Leitung 
der Stadt Paris an. 
Schon die Nationalversammlung hatte die steuerzahlende Be¬ 
völkerung Frankreichs bewaffnet und so die Nationalgarde gebildet. 
Jetzt wurden auch die Armen, die keine Steuern zahlten, die Hafen¬ 
arbeiter, die Lastträger, Handwerksgesellen usw., bewaffnet, indem 
man sie mit Piken ausrüstete. Einem regelrechten Heere gegenüber 
war die Pike freilich machtlos; aber man wollte die Pikenträger auch 
gar nicht im freien Felde verwenden, sondern im Innern Frankreichs, 
in den Städten. „Man wird' die Piken überall zur Anwendung 
bringen, wo das Volk Feinde hat, selbst im königlichen Schlosse, 
wenn sich dort Volksfeinde finden sollten.“ (Aus einem damaligen 
Zeitungsblatte.) 
Die Leibwache des Königs wurde verabschiedet; alle Linien¬ 
truppen wurden aus Paris entfernt, der Schutz des Königs und der 
Hauptstadt wurde den Nationalgarden in Paris anvertraut. 
Unter den Nationalgarden gab es anfangs Kompanien von 
Grenadieren und Jägern, welche sich aus wohlhabenden und könig¬ 
lich gesinnten Leuten zusammensetzten und sich in mancher Hinsicht 
von den übrigen unterschieden. Diesen bevorzugten Soldaten wurden 
jetzt ihre besonderen Uniformen genommen, und man schob andere 
Soldaten mit in ihre Kompanien hinein. 
Zur Feier des Bastillefestes — jedes Jahr feierte man am 
14. Juli ein Fest zum Andenken an den Bastillesturm — kamen 1792 
große Scharen von Nationalgardisten aus der Provinz nach Paris; 
dieselben erhielten Wohnung in den Kasernen und eine Besoldung. 
Nach dem Feste zogen die meisten wieder ab. Etwa 2000 Mann 
blieben jedoch; sie wurden von den Jakobinern beherbergt und be¬ 
wirtet und ließen sich in Pariser Bataillone einreihen, natürlich in 
solche, welche den Jakobinern ergeben waren. Zwei später ein¬ 
getroffene Häuflein, die auch jakobinisch gesinnt waren, blieben ab¬ 
gesondert. Das eine zählte 300 Mann und kam aus Brest; die andere 
Schar war aus Marseille eingetroffen und zählte 516 Mann. Die 
Leute aus Marseille und Brest bildeten den Auswurf der Seestädte; 
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