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in die abgelebten Völker des römischen Reiches, gab aber diesen rohen
Natursöhnen die Wohltat des Christentums, römischer Bildung und staat-
licher Einrichtungen. Durch die Mischung des deutschen und römischen
Wesens entstanden die romanischen Völker und Sprachen (Italiener,
Franzosen, Spanier und Potngiesen). Kirchensprache blieb überall die latei-
nische oder römische, in der katholischen Kirche bis heute.
4. Deutsche Heldensagen aus der Zeit der Völkerwanderung.
Die Taten hervorragender Helden und Ereignisse aus der Zeit der Völker-
Wanderung schmückte die rege Phantasie des Volkes aus und verband sie
zum Teil mit Stoffen der mythischen Vorzeit zu umfangreichen Sagen-
gebilden, die im Munde des Volkes fortlebten. Es sind dies vornehmlich
die Sagen von Kriemhild, Siegfried, Gunther, Etzel und Dietrich
von Bern, die in dem größten Volksepos der Deutschen, dem Nibe-
lnngenliede (s. § 46, 4), ihre dichterische- Ausschmückung erfuhren.
Zu Worms im Lande der Burgunder wuchs eine Königstochter,
Kriemhild, unter dem Schutze ihrer Brüder, der Könige Gunther,
Gernot und Gifelher, in herrlicher Schöne heran. Um sie beschließt
der kühne Königssohn Siegfried aus Xanten am Niederrhein zu werben.
Mit glänzendem Gefolge zieht er nach Worms. Von ihm weiß der grimme
Recke Hagen von Tronege, Gunthers Dienstmann, gewaltige Taten zu
erzählen: wie er das Zwerggeschlecht der Nibelungen besiegt, ihre Schätze
und die unsichtbar machende Tarnkappe erbeutet, einen Drachen getötet und
durch dessen Blut seine Haut unverwundbar gemacht habe. Trotzig tritt
Siegfried auf, gleichwohl wird er freundlich aufgenommen. Bald ist er
der Freund der königlichen Brüder und hilft ihnen im Kampfe gegen ihre
Feinde, die Sachsen und Dänen; aber er ist schon ein Jahr am Hofe, ohne
Kriemhild gesehen zu haben. Bei einem großen Feste erschaut er die holde
Jungfrau zum erstenmal. Als Gunther um die starke Brnnhild im fernen
Jsenlande zu werben gedenkt, verspricht ihm Siegfried seine Hilfe, wenn er
Kriemhild zum Weibe erhalte. Gunther sagt zu. Beide ziehen nun nach
dem Jsenlande. Bruuhild wird mit Siegfrieds Hilfe in den Kampfspielen
überwunden und willigt ein, Gunthers Gattin zu werden. Siegreich
kehren die Könige nach Worms zurück und feiern eine glänzende Doppel-
Hochzeit.
Jahrelang herrscht Siegfried mit seinem geliebten Weibe glücklich als
mächtiger König in seinem Reiche. Da lädt Gunther auf Drängen seiner
Gattin Siegfried und Kriemhild zu einem Besuche in Worms ein. Sie ist
in dem Wahne, daß Siegfried Gunthers Lehnsmann sei. Herrliche Feste
und Kampfspiele werden den Gästen zu Ehren gegeben. In einem Streite
über die Vorzüge ihrer Männer erfährt Bruuhild von ihrer Schwägerin,
daß sie nicht durch Gunther, sondern durch Siegfried bezwungen worden
ist. Tief gekränkt sinnt sie auf Rache. Hagen verspricht ihr seine Hilfe,
indem er Siegfried zu ermorden beschließt. Durch falsche Boten wird die
Nachricht von entern neuen Kriege verbreitet. Siegfried erbietet sich zum
Beistande. In der Angst um ihres Gatten Leben verrät Kriemhild dem
tückischen Hagen die einzige verwundbare Stelle an Siegsrieds Körper. Als
Hagen dies erfährt, wird der Kriegszug nicht unternommen, weil er ihm