138 Das große Jahr 1870 auf 1871 rc.
zu können, wurde die deutsche Nordarmee theils vom Hauptquartier aus, theils
durch das vom Corps des Herzogs von Mecklenburg bei Rouen abgelöste 1. Ar¬
meecorps verstärkt und nachdem Manteuffel den Oberbefehl über die Südarmee
übernommen, trat General von Göben an seine Stelle. Dieser besiegte nach der
Kapitulation von Peronne (10. Januar) Faidherbe in der Schlacht bei St. Quen-
Jan. Hat, 19. Januar. Sieben Stunden dauerte der heiße Kampf, der 10,000
Franzosen die Gefangenschaft eintrug. Auf den fast grundlos gewordenen Wegen
verfolgten die Sieger den Feind bis in die Nähe von Arras, Cambrai, Valencien-
nes. So war auch die Nordarmee unschädlich gemacht.
Somit hatte Paris nunmehr von keiner Seite auf Hilfe zu rechnen; dazu
unterhielten die feindlichen Batterien seit dem 5. Januar auch vom Südwesten her
das Feuer auf die Forts Jssy, Vanves und Montrouge. Bald bedrohte auch das
furchtbare Gespenst des Hungers die von wilder Leidenschaft beherrschten Bürger,
deren Leiden sich mehrten, als nach Vernichtung der Faidherbe'schen Armee auch
im Norden die deutsche Artillerie ihre Feuerschlünde gegen St. Denis und andere
Vorstädte des Nordens richtete (21. Jan.) Schon dachte der verständigere Theil
der Bevölkerung an eine Uebergabe der in das bitterste Elend gerathenen Stadt.
Allein die weitaus zahlreichere Gegenpartei nöthigte den militärischen Oberbefehls¬
haber Trochu zu einem letzten verzweifelten Mittel: es wurde ein Massenausfall
Jan. am Mont Valerien am Tage der Schlacht bei St. Quentin, 19. Jan., unter¬
nommen, der aber wie alle früheren Versuche einer Durchbrechung des Belagerungs¬
gürtels kläglich genug endete. Ein einziges deutsches Armeecorps (20,000 M.)
trieb die 100,000 Angreifer mit möglichster Schnelligkeit zurück (19. Jan.) und
führte dadurch die endliche Kapitulation der französischen Hauptstadt her¬
bei. Wenige Tage darauf (23.) knüpfte Jules Favre mit dem Hauptquartier in.
Versailles Unterhandlungen an, die bereits am 26. soweit gediehen waren, daß die
Feindseligkeiten eingestellt werden konnten. Am 28. Januar wurde vom Grafen
Bismarck und Jules Favre ein dreiwöchiger Waffenstillstand und die Kapitulation
unterzeichnet. Nach derselben mußten alle Forts von Paris übergeben und die
Waffen ausgeliefert werden. Paris blieb eingeschlossen, erhielt aber die Erlaubniß,
sich verpflegen zu dürfen. Die Besatzungsmannschaft blieb in der Stadt kriegs¬
gefangen. Vierzehn Tage später wurde nach Bordeaux eine Nationalversammlung
einberufen, um über Krieg oder Frieden zu entscheiden.
h. Das Nachspiel des Krieges auf dem östlichen Kriegsschauplätze.
Der Waffenstillstand erstreckte sich jedoch nicht auf den östlichen Kriegsschauplatz.
Hier stand General Bourbaki, der sich nach dem verfehlten Angriffe auf die Li-
sain-Linie vor dem ihn unaufhörlich von Norden her verfolgenden Werdet’sihert :
Corps nach Lyon, seinem südlichen Zufluchtsorte, zurückzog, während General von j
Manteuffel mit dem 7. und 2. Corps in Gewaltmärschen die Gegenden durchschritt, ,
durch welche er seinen Rückzug nehmen mußte, um ihn von Lyon und den Eisen- -
bahnen, die allein dem an allem Mangel leidenden Heere als Rettungsmittel dienen j
konnten, abzuschneiden. Von diesen beiden Truppenkörpern wurde Bourbaki immer :
mehr gegen Osten nach der Schweiz zurückgedrängt. In dieser verzweifelten Lage ü
konnte er nur zwischen der Kriegsgefangenschaft und dem Uebertritt auf das neu- -
trale Gebiet der Schweiz wählen. Beides schien ihm mit seiner Ehre unverträg- -
lich; er wollte sich selbst erschießen, der Schuß verfehlte aber. An seiner Stelle 3
übernahm General Clinchant das Cornmando, der, nachdem er in feiner Stellung x
bei Poutarlier von den Deutschen angegriffen worden, mit seiner allmählich auf 7