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V. Die Reformation in Westfalen.
Dagegen erhob sich bei vielen Bürgern heftiger Widerspruch; sie
rotteten sich zusammen, und es gelang ihnen, bei einem nächtlichen
Auflaufe den Propheten und seine holländischen Jünger zu fangen
und hinter Schloß und Riegel zu bringen. Aber sie waren zu
schwach; sie wurden von der Partei des Propheten überwältigt und
die meisten hingerichtet.
Nun strebte Johann nach dem höchsten Ziele. Als Werkzeug
benutzte er Johann Dusentschur, einen Goldschmied aus Waren¬
dorf. Dieser trat auf und verkündete dem Volke, der himmlische
Vater habe ihm offenbart, daß Johann von Leyden, der heilige
Mann und Prophet Gottes, ein König sein solle über den ganzen
Erdkreis. Die 12 Ältesten mußten ihre Schwerter abgeben, und
Dusentschur salbte den neuen König.
h. Auf dem Gipfel der Narrheit. König Johann richtete sich
nun einen glänzenden Hofdienst ein. Er ernannte hohe Hofbeamte,
Mundschenken, Küchenmeister, Kammerdiener usw. Sättel und Reit¬
zeug seiner Pferde waren mit Gold beschlagen. 28 Trabanten in
roten und himmelblau gestickten Röcken bildeten seine Leibwache.
Der Scharfrichter Knipperdolling wurde zum Statthalter, dem Ersten
nach dem König in Israel, ernannt. 17 Frauen schmückten des Königs
Palast. Er nannte sich nur noch „den gerechten König in dem
neuen Tempel, der da sitzet auf dem Stuhle Davids in Zion". An
einer Kette um den Hals trug er eine goldene Weltkugel, dreimal in
der Woche erschien er in vollem Königsschmuck auf dem Markte,
ließ sich auf seinem Thron nieder und hielt Gericht. Neben ihm>,
eine Stufe tiefer, stand Knipperdolling mit dem Reichsschwerte.
Ritt er durch die Stadt, so fiel alles vor ihm auf die Knie. Wer
ihn verachtete, mußte sein Vergehen mit dem Tode büßen. Das
Los traf sogar eine seiner Frauen, die es gewagt hatte, an seiner
göttlichen Sendung zu zweifeln und ihn wegen seines üppigen
Lebens zu tadeln, während das Volk hungerte. Der König schleppte
sie selbst auf den Markt und schlug ihr mit eigener Hand das
Haupt ab.
i. Die Eroberung der Stadt. Die Belagerer hatten indessen
schon öfter versucht, die Stadt zu erstürmen, wurden aber stets
mit großen Verlusten zurückgeschlagen. Dann aber schlossen sie
Münster vollständig ein, bauten Blockhäuser und umzogen die Stadt
mit tiefen Gräben und Wällen, so daß sie von aller Zufuhr ab¬
geschnitten war. Bald trat denn auch Hungersnot ein. Die Apostel,
die Johann um Hilfe an die Glaubensgenossen in Westfalen und
Holland sandte, fielen meist in die Hände der Feinde. Keine Hilfe
kam. Die Hungersnot stieg aufs höchste, das Volk war tief ent¬
mutigt. Nur der König und sein Hof hatten noch Lebensmittel für
kurze Zeit. Am 25. Juni 1535 zeigte ein Überläufer dem Feinde
den Weg über die Gräben und Mauern. In dunkler, stürmischer
Nacht führte er eine kleine Schar Lanzknechte in die Stadt, diese
stießen die Wachen nieder und öffneten das Kreuztor. Die Masse