VI. Der Jülich-Clevische Erbschaftsstreit.
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Ländern zugesichert war, falls ihr Bruder kinderlos sterben sollte.
Marie Eleonore war daher die mutmaßliche Erbin der schönen
Herzogtümer. Sie hinterließ nur Töchter, die viel umworben
wurden. Die älteste Tochter Anna wurde die Gemahlin des Kur¬
fürsten Johann Sigismund von Brandenburg. Da Marie
Eleonore bereits acht Monate vor ihrem Bruder gestorben war,
so trat jetzt Johann Sigismund als Gemahl ihrer ältesten Tochter
Anna mit Ansprüchen aus die Herzogtümer aus.
Aber andere Bewerber machten ihm das Erbrecht streitig. Die
zweite Schwester des verstorbenen Herzogs war die Gemahlin des
Pfalzgrafen Philipp Ludwig von Neuburg, der aus einer
Seitenlinie des pfälzischen Kurhauses stammte. Sie hatte einen
Sohn, Wolfgang Wilhelm, und nun behauptete ihr Gemahl, der
Sohn der zweiten noch lebenden Schwester habe mehr Erb-
anspruch als die Tochter der ältesten schon verstorbenen Schwester.
Auch die Gatten der dritten und vierten Schwester machten An¬
sprüche aus Teile des Erbes. Schließlich handelte es sich nur noch
um die Ansprüche des Kurfürsten von Brandenburg und des Pfalz¬
grafen von Neuburg. Bedrohlich wurde die Angelegenheit durch die
Einmischung des Kaiserhauses Habsburg, das mit Mißtrauen das
Anwachsen der protestantischen Macht Brandenburg beobachtete.
Kaiser Rudolf II. erklärte die Absicht, bei der zweifelhaften Erb¬
berechtigung die jülich-clevischen Lande einstweilen in Beschlag und
Verwaltung zu nehmen.
c. Einigung der Erben. Ein solcher Anspruch des Hauses
Habsburg war aber in dieser Zeit eine große Gefahr für den Pro¬
testantismus in Deutschland. Der kraftlose Kaiser stand unter dem
Einfluß der Jesuiten, und die römische Kirche suchte mit allen Mitteln
die durch die Reformation verlorenen Gebiete wiederzuerobern. Der
protestantische Johann Sigismund kam dem ländersüchtigen katho¬
lischen Kaiser zuvor und ließ sosort nach dem Tode Johann Wil¬
helms durch seinen Bevollmächtigten den brandenburgischen Adler
an der Schwanenburg zu Cleve anheften, zum Zeichen seiner
Besitzergreifung des Landes Cleve. Dasselbe geschah in Düsseldorf
und in anderen Städten trotz aller Einsprüche des Kaisers. Ange¬
sichts der vom Kaiser drohenden Gefahr schlossen dann der Kurfürst
und der Pfalzgraf schon am 31. Mai 1609 einen Vertrag zu Dort¬
mund, nach dem sie die Erbländer vorläufig gemeinschaftlich ver¬
walten wollten, bis ihre Sache vor einem Schiedsgericht ausge¬
tragen sei. Der Kaiser erklärte diesen Schritt für einen Eingriff
in seine Rechte und sandte den Erzherzog Leopold nach Jülich,
um die Gebiete in Besitz zu nehmen. Aber durch Heinrich IV.
von Frankreich und die Generalstaaten (Holland) wurden die
Österreicher wieder verdrängt, da sie eine Ausdehnung des
habsburgischen Besitzes am Niederrhein nicht dulden wollten. So
wurden also schon die benachbarten Staaten in den Erbschastsstreit
hineingezogen.