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Lieblingen des Volkes gehören. Friedrich Wilhelm Zacha-
riä schrieb mehrere komische Dichtungen in epischer Form, welche
trotz ihrer Armut an Erfindung doch als Zeit- und Sittenschil¬
derungen von Bedeutung sind und eine ganze Menge Nach¬
ahmungen hervorriefen. Den Bahnen Gellerts als Fabeldichter
folgten mit dem meisten Glück und Geschick Magnus Gott¬
fried Lichtwer und Gottlieb Konrad Psesfel, von denen
der erstere eine große Lebendigkeit in der Darstellung bekundet
und der letztere sich durch eine gewisse Glätte und Zierlichkeit
auszeichnet. Einer der geistreichsten Schüler Gottscheds, indes
kein unbedingter Verfechter der Grundsätze desselben, war
Abraham Gotthold Kästner, dessen Sinngedichte voll Mes¬
senden Witzes den besten poetischen Erzeugnissen jener Periode
beizuzählen sind.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erfuhr das
gesamte geistige Leben der deutschen Nation einen mächtigen
Umschwung. Hochbegabte Männer der verschiedensten Richtung
schlugen neue Bahnen ein und begründeten teils durch Be¬
kämpfung und Zerstörung verjährter Irrtümer und falscher An¬
sichten, teils durch geniale Schöpfungen auf dem Gebiete der
Wissenschaft oder der Dichtkunst einen Höhegrad der Bildung,
von dem man vorher kaum eine Ahnung gehabt hatte. Am
meisten machte sich dieser gewaltige Umschwung in der Poesie
bemerkbar, der die hervorragendsten Geister ihre Talente zu¬
wandten, und für die jetzt eine zweite große Blütezeit ihren
Anfang nahm. Heraufgeführt wurde dieselbe zunächst durch den
1724 schon erwähnten Friedrich Gottlieb Klopstock, geboren zu
bis Quedlinburg, gebildet in der berühmten Lehranstalt Sckiulpforta
und die meiste Zeit seines Lebens im Dienste der Muse ab¬
wechselnd zu Kopenhagen und Hamburg verbringend, an welchem
letzteren Orte er auch im hohen Alter starb. Klopstock weckte
Empfänglichkeit und Begeisterung im Volke, dem er seinen ernsten
christlichen Glauben, seine lebhafte Gefühlswürme und seinen
regen vaterländischen Freiheitssinn um so wirksamer in die Brust
senkte, als er über eine ungemein würdige, schwungvolle und
dabei kräftige Sprache gebot. In ganz besonderem Maße treten
uns diese Vorzüge entgegen in seiner „Messiade", einem ly¬
risch-epischen Heldengedicht, das die Erlösung der Welt durch
den Opfertod des Heilandes zum Mittelpunkt hat, und in seinen
„Oden" und „Bardieten", welche letzteren die Erinnerung an
die Thaten der deutschen Vorzeit wieder aufleben lassen. Die
genannten Werke, vorzugsweise aber die „Messiade", riefen in
den gebildeten Kreisen der Nation die höchste Bewunderung
hervor, und Klopstock wurde als der Schöpfer einer neuen
Epoche in der Dichtkunst gepriesen, dem man mit mehr oder