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im November des Jahres 10Y5, nach Urbans dringender
Ladung, zu Clermont in Auvergne einfanden. Es war
Hauptzweck des Papstes, hier die Rettung des heiligen
Landes zu bewirken. Auf einem freyen Platze — denn
keinSaal konnte eine so zahlreiche Versammlung fassen —
sprach Urban von erhöhter Stelle mit lauter, oft durch
Seufzen und Thränen gehemmter Stimme:
„Die Lehre Jesu Christi, welche das Abendland in
ursprünglicher Reinheit bewahrt, ist auch Jahrhunderte
lang in Asien frey verkündet und bekannt worden. Zwar
hat das gerechte Bestreben, jede falsche Ansicht und Deu¬
tung zu vertilgen, uns bisweilen in Zwiespalt erscheinen
lassen mit den Bewohnern jener Lander; allein wir haben
sie stets geachtet als Christen, und nie vergessen, daß wir
alle Brüder Eines Hauses, Kinder Eines Vaters sind.
Soll ich wiederhohlen, was jeder weiß, wie jene über das
Heidenthum gewonnenen Lander den Christen wieder ent¬
rissen, und eine Beute der Ungläubigen geworden sind?
Wer kann es hören ohne Jammer? Und doch giebt eS
einen Schmerz, der noch tiefer, ein Unglück, das noch
größer ist: denn auch Palästina und Jerusalem sind in den
Händen der Feinde. — Der Erlöser unseres Geschlechtes,
welcher zum Heile Aller menschlichen Leib und Gestalt
annahm, wandelte in jenem auswählten Lande. Jede
Stelle ist dort geweiht durch die Worte, welche Er gespro¬
chen, durch die Wunder, welche Er verrichtet hat. Jede
Zeile des alten und neuen Testamentes beweiset, daß Pa¬
lästina als das Erbtheil des Herrn und Jerusalem als
der Sitz aller Heiligthümer und Geheimnisse rein bleiben
soll von jeder Bestecknng. Und diese Stadt, dieHeimath
Jesu Christi, die Wiege unseres Heils, ist nicht mehr theil-
haft der Erlösung! Zn dem Tempel, aus welchem Chri¬
stus die Kaufleute vertrieb, damit das Heiligthum nicht
verunreiniget würde, wird jetzt des Teufels Lehre öffent¬
lich verkündigt. Wer darf noch zu Maria der Jungfrau