Full text: Die alte Geschichte (Teil 1)

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Eben wollte man schon den Holzstoß anzünden, da stieß Krösus tiefe 
Seufzer aus. „O Solon, Solon, Solon!" rief er mit lauter Stimme. 
Cyrus hörte das und ließ ihn fragen, wen er da anrufe. Lange 
konnte man aus ihm nichts herausbringen; endlich sagte er, „errufe 
einen Mann. den alle Könige hören sollten." Darauf erzählte 
er ihm von seiner Begegnnng mit jenem weisen Manne. 
Mehrere Jahre vorher war nämlich der berühmte athenische 
Gesetzgeber Solon auf seinen Reisen unter andern auch nach Sardes 
gekommen und hatte den Krösus besucht-, der ihn sehr freundlich auf¬ 
nahm und einige Tage darauf durch seine Diener in seine Schatzkammer 
führen ließ, wo ihm alle aufgehäuften Reichtümer gezeigt wurden. 
Dann fragte ihn Krösus: „Mein lieber Solon, du bist ein weiser und 
ein vielgereister Mann, sage mir doch, ist dir wohl auf deinen Reisen 
irgend eilt Mensch vorgekommen, der viel glücklicher war als alle 
andere?" — Er hoffte, Solon würde ihn nennen; aber dieser be¬ 
sann sich schnell und antwortete: „O ja, König, der Grieche Tellos!" 
— „Tellos?" sagte Krösus; „Tellos? Von dem habe ich nie ge¬ 
hört; wer war der?" — „O," erwiderte Solon, „Tellos war ein sehr 
glücklicher Mann; ihm wurden mehrere wohlgebildete, brave Söhne 
geboren, und er erlebte noch, daß sie wieder Kinder bekamen, die 
alle am Leben blieben. Ihm selbst ging nichts ab. und endlich fand 
er einen ehrenvollen Tod. Er zog nämlich mit den Athenern zu 
Felde und starb, nachdem er die Feinde in die Flucht geschlagen 
hatte. Die Athener begruben ihn auf öffentliche Kosten und ehrten 
sein Andenken." — Krösus schüttelte den Kopf; er hoffte doch wenig¬ 
stens die zweite Stelle einzunehmen und fragte, wen er denn nach 
Tellos für den Glücklichsten halte. — „Kleobis und Biton," ant¬ 
wortete Solon. — „Auch die sind mir ganz unbekannte Men¬ 
schen.," meinte Krösus. — „Sie waren", sagte Solon, „brave 
und starke Menschen, aus Argos gebürtig; sie siegten in den Kampf¬ 
spielen; aber die schönste That ihres Lebens war folgende: Bei 
einem Feste der Here (Juno) sollte ihre Mutter, bie eine Priesterin 
war, aus einem Wagen nach betn Tempel fahren; aber die Stiere 
kamen nicht zur rechten Zeit aus betn gelbe zurück; bn spannten 
sich bie Jünglinge selbst in bas Joch unb zogen ben Wagen
	        
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