Straßburg geschleppt oder verbrannten bei der Einäscherung der Stadt.
Nach vierjähriger Unterbrechung kam das Gericht nach Wetzlar,
wo es bis zur Auflösung des Reichs sein rühmloses Dasein fristete.
Infolge des Geldmangels konnte das Gericht fast nie voll besetzt
werden und mußte oft jahrelang seine Tätigkeit überhaupt einstellen.
Dadurch wurde der Geschäftsgang ein äußerst schleppender, so daß
die meisten Streitsachen unerledigt blieben. Nach einem Berichte vom
Jahre 1646 sollten Gewölbe voll Akten seit mehr als 20 Jahren
nicht geöffnet und schon im Jahre 1620 über 50 000 Sachen zurück¬
gelegt sein, über die niemals Bericht erstattet worden sei.
Büßte das Reichsgericht schon infolge dieser Mißstände bedeutend
an Ansehen ein, so schwand sein Einfluß vollends mit dem Selbständig¬
werden der Einzelstaaten. Das Rammergencht war wohl ein Reichs¬
gericht insofern, als es vom Kaiser und den Reichsständen besetzt war.
Aber die Landesfürsten strebten danach, ihre Länder gegen die
kaiserliche und die Reichsgerichtsbarkeit abzuschließen. Besonders die
Kurfürsten erlangten das Vorrecht, daß gegen die Urteile ihrer
Landesgerichte keine Berufung an die Reichsgerichte gestattet sein sollte.
Mit dem Falle des Deutschen Reiches fiel auch das Reichskammergericht,
unbetrauert von der deutschen Nation.
9. Die Entwicklung der neuen Rechtspflege.
In die barbarische Finsternis der Rechtspflege fiel im Zeitalter der
Aufklärung allmählich einiges Licht. Auch hier ging Friedrich der
Große mit Reformen voran. Wahrend in Frankreich die Anwendung
der „peinlichen Frage" noch in ihrer ganzen Scheußlichkeit fortdauerte,
hob Friedrich 1754 die Tortur auf und stellte zugleich den Brauch
ab, Kindsmörderinnen im Sack zu ersäufen. Andere deutsche Staaten
folgten mit Aufhebung der Folter dem gegebenen Beispiel, so Baden
1767, Mecklenburg 1769, Kursachsen 1771, Österreich 1776. In
Hannover wurde die Folter erst 1840 aufgehoben. Die Strafrechts¬
pflege erhielt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts allmählich
eine mildere Form, und die Willkür wurde durch Gerichtsordnungen
eingeschränkt. Durch den Ausgleich des römischen Rechtes mit dem
deutschen Volksrecht wurde das Vertrauen der Bevölkerung auf den
Rechtsschutz gehoben. Sehr gereicht es Friedrich dem Großen zum
Ruhme, daß er seinen Gerichten einschärfte, bei Verbrechen aus Armut
die tunlichste Milde walten zu lassen. Er wirkte Wunder im Aus¬
fegen der Gerichte und ihrer Aktengebirge; in Pommern z. B. wurden
in einem Jahre 2400 alte und 540 neue Prozesse erledigt. Durch
eine Kammergerichtsordnung schuf er ein einheitliches und zweckmäßiges
Eesetzeswerk.
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