Full text: Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters

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großer Menschen aufgebaut werden müsse. Aber freilich 
mag den Arbeitern wohl das Verständnis der Geschichte da¬ 
durch wesentlich erleichtert werden, daß ihnen die historischen 
Abwandlungen an den Gestalten klar gemacht werden, die 
die hervorragendsten Träger dieser Abwandlungen gewesen 
sind. Der historische Materialismus wird dadurch nur in den 
Augen derer verleugnet, die ihn entweder nicht verstehen 
können oder nicht verstehen wollen. 
So habe ich den biographischen Gesichtspunkten alles 
Recht eingeräumt, das sie im Rahmen der allgemeinen histo¬ 
rischen Darstellung nur irgend beanspruchen können. Wer 
Luther und Münzer im 16., wer Wallenstein und Gustav 
Adolf im 17., wer Kant und Lessing, Goethe und Schiller im 
18., wer Hegel und Heine, Lassalle und Marx im 19. Jahr¬ 
hundert gewesen sind, das zu wissen, fördert in hohem Grade 
das Verständnis der wechselnden Zeiten, selbst wenn man da¬ 
von absehen will, daß der moderne Arbeiter ohnehin wissen 
muß, was es mit diesen Männern auf sich gehabt hat. Es 
kommt hinzu, daß über manche, wenn auch keineswegs alle 
diese historischen Gestalten in der Volksschule das verkehrteste 
Zeug gelehrt wird und daß sich auch hier das Wort bewährt: 
Je größer der Wahn, desto kürzer der Weg zur Wahrheit. 
Zum Schluß brauche ich wohl nur mit einem flüchtigen 
Worte darauf hinzuweisen, daß es nicht die Aufgabe eines für 
Unterrichtszwecke bestimmten Leitfadens sein kann, neue Ge¬ 
sichtspunkte zu eröffnen. Im Gegenteil wird er feinen Zweck 
um so besser erfüllen, je gründlicher der historische Stoss, über 
den er sich verbreitet, schon durchgearbeitet worden ist. Ich 
habe deshalb auch keinen Anstand genommen, auf denjenigen 
Gebieten der deutschen Geschichte, auf denen ich nicht selbständig 
gearbeitet habe, historische Schriften der sozialistischen und 
gelegentlich auch der bürgerlichen Literatur zu benutzen. 
Dies gilt namentlich von dem ersten Abschnitt des Leit¬ 
fadens, etwa bis zur Reformation, wobei ich mich wieder in 
erster Reihe auf meinen Freund Kautsky stütze, in einem Um¬ 
fange, der sich nur durch die praktischen Zwecke meiner Arbeit 
rechtfertigen läßt und deshalb von ihm selbst am nachsichtigsten 
beurteilt werden wird. 
Der zweite Teil, der die neuere deutsche Geschichte be¬ 
handelt, wird in gleichem Umfange zum Herbst dieses Jahres 
erscheinen. 
Stealitz-Berlin, im Januar 1910. 
J. Mehring.
	        
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