Full text: Von Luther bis zum Dreißigjährigen Krieg (Teil 4)

— 98 — 
die Wahrheit und die Welt unter, da verliert man ja den Boden unter 
den Füßen, da weiß man ja nicht mehr, woran man sich festhalten soll 
im Leben und im Sterben. So dachten auch die Fürsten des Reichs¬ 
tages, so sehr sie auch in einzelnen Dingen Luther recht gaben. Es 
graute sie, den festen Boden zu verlassen, auf dem das Christentum und 
die christliche Wahrheit 14 Jahrhunderte lang gestanden hatte; es graute 
sie, mit Luther ins Dunkle zu springen und mit ihm ein neues, christ¬ 
liches Leben anzufangen, in dem nur die eigene Überzeugung und die 
heilige Schrift gelten sollte; es graute sie vor dem Mann, der die Quelle 
aller Wahrheit in der eigenen Brust empfand — und so blieben sie bei 
dem alten Grundsatz (Nur die Kirche entscheidet über die christliche 
Wahrheit) und verdammten Luther mit seinem neuen Grundsatz (Nur 
die eigne Überzeugung und die heilige Schrift entscheidet über die christ¬ 
liche Wahrheit). Und so stand Luther allein da, getrennt von der alten 
Kirche und verstoßen von der weltlichen Macht, allein mit seinem Grund¬ 
satz, mit dem er eine neue Kirche gründen wollte. Es standen sich also 
gegenüber einerseits der Grundsatz des Mittelalters und der 
katholischen Kirche und andrerseits der Grundsatz der neuen 
Zeit und der neuen Kirche. 
Welcher Grundsatz ist nun richtig? Diese Frage können 
wir nicht so einfach mit ja oder nein entscheiden, das muß jeder Christ 
mit seinem Gewissen und seinem Gott ausmachen. Wer den Grundsatz 
Luthers für richtig hält, gehört zur Partei der neuen Kirche, wer den 
Grundsatz des Reichstages festhält, gehört zur Partei der alten Kirche. 
Denn diese beiden Sätze sind eben die obersten Grundsätze der alten, 
katholischen und der neuen, evangelischen Kirche. Zusammenfassung 
vergl. IV. 2. 
3. Wie hängt nun dieser Grundsatz Luthers mit 
seinem andern Grundsatz zusammen: Der Mensch wird vor 
Gott gerecht durch seinen Glauben an Christus, nicht durch seine äußer¬ 
lichen Werke? (Es ist das der Grundsatz Luthers, den er sich schon im 
Erfurter Kloster errungen und am deutlichsten in seiner Schrift von der 
Freiheit eines Christenmenschen ausgesprochen hat). Wenn mein Heil 
bei Gott und sein Urteil über mich (du bist mir recht) allein von meinem 
Glauben abhängt, d. h. von der Hingabe meines Herzens an Gott und 
Christus, so hat kein Mensch auf Erden (auch keine Kirche oder Konzil) 
das Recht und die Macht, mir das Heil abzusprechen oder zuzusprechen; 
das hängt ganz allein von mir und Gott ab, denn nur er und ich können 
mir ins Herz sehen, wo der Glaube wohnt; ich bin mein eigener Priester. 
Also hat jeder gläubige Christ, der sich an Gottes Wort gebunden hat, 
das Recht, seine Glaubensüberzeugung für wahr zu halten und allen 
Menschen gegenüber darauf stehen zu bleiben. So geht also aus dem 
ersten Grundsatz Luthers: Der Mensch wird vor Gott gerecht nicht durch 
die Werke, sondern durch seinen Glauben — als notwendige Folge der 
zweite Grundsatz hervor: Über die christliche Wahrheit entscheiden nicht 
andere Menschen (Kirche, Konzil) sondern meine Überzeugung in meinem 
Herzen und Gottes Wort in der heiligen Schrift. Diese beiden
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.