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(Tonsur!) ließ er wachsen und wurde dadurch für seine Bekannten eben¬
so unkenntlich, wie für uns (Vorzeigen des Bildes!). Nun durfte er
auch hinab in die Stadt zu seinen lieben Franziskanern, zu deren Füßen
er als Schüler gesessen; auch machte er Ausflüge in die benachbarten
Wälder, ja noch weiter zu Pferde bis Gotha und Reinhardsbrunn, wo¬
bei ihn ein treuer Knecht begleitete (der auch darauf aufpassen mußte,
daß sein Herr Ritter nicht überall gleich in unritterlicher Weise nach
den Büchern griff). — Mitteilungen über die Lutherstube auf der
Wartburg. — Das Geheimnis seines Aufenthalts wurde lange gewahrt
(Herzog Johann); dazu half Luther, indem er feine Briefe nicht etwa
von der Wartburg, sondern „aus dem Lande der Vögel," „aus der
Wüste", „aus meiner Einsamkeit", „aus meinem Patmos" (Insel, wohin
der Apostel Johannes von einem römischen Kaiser verbannt worden war)
datierte. Es fehlte Luther anfangs an Büchern und immer am münd¬
lichen Verkehr mit seinen Freunden. Die Geschichte vom Tintenfaß, das
Luther nach dem Teufel geworfen habe, ist eine spätere Sage, die weder
von Luther, noch von einem Zeitgenossen erzählt wurde; wahr daran ist
nur, daß Luther damals arge innere Anfechtungen erlitt, die er dem
Teufel zuschrieb.
Zu 3. Der Erzbischof Albrecht hatte damals in seiner Stadt Halle
einen Reliquienschatz („Heiligtum") ausgestellt, der aus 8933 einzelnen
Stücken und 42 ganzen heiligen Körpern bestand, und ließ öffentlich
verkündigen: Wer an bestimmten Tagen der Zeigung des Heiligtums
mit innigem Herzen beiwohnt und zum Stift (Domstift) sein Almosen
reicht, der empfängt unübertrefflichen Ablaß zur Abwaschung der Sünde.
Die Hallenser hatten ausgerechnet, daß man sich hierbei einen Ablaß von
39245120 Jahren und 220 Tagen gewinnen könnte.
Zu 4. Die einzigen Bücher, die Luther anfangs auf der Wartburg
besaß, waren die griechische Bibel und der Psalter.
Die Kirche npo ft ille ist eine Auslegung der sonntäglichen Peru
kopen (Evangelium und Epistel) in Form von Predigten; das Buch ent¬
hält also für jeden Sonntag des Kirchenjahres zwei Predigten. Der
Name kommt von der lateinischen Redensart „Post illa verba domini“,
mit denen die Auslegung begann. Das Buch war zunächst für die
Pfarrherren bestimmt, die nicht recht zu predigen wußten, sie sollten
deutsche Predigten haben, um sie dem Volke vorzulesen. Später wurde
Luthers Kirchenpostille auch in den Familien gelesen.
Bibelübersetzung. Die gegebenen Quelleustücke sind nach
folgenden Gesichtspunkten geordnet: Beweggründe zur Bibelübersetzung;
Erfordernisse dazu; Sprache der Bibelübersetzung; gutes Deutsch; Müh¬
seligkeit; Fortschritt der Arbeit 1522—1534; Wirkung auf das Volk.
Erläuterung der einzelnen Stücke.
Ergänzungen. Ursprachen der Bibel: Altes Testament —
hebräisch, Neues Testament — griechisch; in der römisch-katholischen
Kirche wurde und wird jetzt noch die alte lateinische Übersetzung der
Bibel (Vulgata) als gleichwert mit dem Urtext benutzt.