Full text: Leitfaden der allgemeinen Weltgeschichte

§ 76. Öffentliche Zustände zur Zeit des Augustus. 215 
Der Reiche dagegen konnte seine ungeheuren Ländereien nicht 
nutzbar machen, und wilde Tiere hausten ans den einst so frucht¬ 
baren Äckern, die nur von Sklaven in Ketten und von Schnld- 
gesangenen bebaut wurden. Italien, das noch zur Zeit des 
puuischen Krieges viel Getreide uud Vieh ausführte, bedurfte 
der Zufuhr aus den entlegensten Ländern, wenn keine Hungers¬ 
not einbrechen sollte. Das Land, welches keinerlei Zölle und 
keine Kopfsteuer bezahlte, war ärmer, als die so hart gedrückten 
Provinzen. 
219) Dieser ungeheure Reichtum wie die nebenhergehende ent¬ 
setzliche Armut wirkten höchst nachteilig ans Religion und Sitt¬ 
lichkeit. Die öffentliche Scham war gewichen und Raub, Mord 
und Unterschlagung von Staatsgeldern waren kein Hindernis, 
um im Senate zu sitzen und Staatsstellen sich erwerben zu 
köuueu. Das Familienleben war auf das tiefste zerrüttet; die 
Erziehung der Kinder war den verdorbenen griechischen Sklaven 
anvertraut. Namentlich war das Verbrechen der Giftmischerei 
allgemein geworden nnd ans der Hauptstadt auch in die Pro¬ 
vinzen gedrungen. Bei geheimen religiösen Feierlichkeiten, die 
aus der Fremde Eingang gefunden hatten, beging man Unsitt¬ 
lichkeiten aller Art. Die römische Mannheit (virtus) war ge¬ 
wichen und hatte einer rohen Grausamkeit Platz gemacht, die in 
der Behandlung der Sklaven, deren die reichen Römer oft mehrere 
Taufende befaßen, und der eroberten Völker auf die unmensch¬ 
lichste Weise sich zeigte. _____ 
Anmerkungen. 
1. Wie man iit den Provinzen wirtschaftete, davon haben wir schon 
mehrere Beispiele angeführt. Cicero zeigte es an Verres, dem Statt¬ 
halter von Sizilien, der von sich rühmte, er habe soviel zusammen¬ 
gestohlen , daß niemand ihm etwas anhaben könne. Er schickte jährlich 
zwei Schiffe voll Beute nach Hause. Die Summe, die er zusammeu- 
stahl, belief sich über zwölf Millionen Mark. Obgleich aber Cicero 
den Verres anklagte und dieser freiwillig in die Verbannung ging, ver¬ 
wendete er sich später doch wieder für seine Rückkehr. Brut ns, der 
Befreier Roms, lieh Geld an die Provinzialen aus und nahm davon 
43 Prozent, uud Appius, der Schwiegervater des Brutus und Statt¬ 
halter von Cypern und Cilicien, legte einmal den Einwohnern von S a- 
lamis eine Kontribution auf. Als die Stadtbehörden erklärten, es sei 
ihnen unmöglich, das Geld aufzubringen, ließ er sie einsperren, so daß 
mehrere Magistratspersonen verhungerten. 
2. Von der römischen Schwelgerei wollen wir hier nur ein paar 
Beispiele auführeu: Man baute Küchen in der Größe von Palästen, und 
Keller, in denen 300 000 Krüge aufbewahrt werden konnten. Horten- 
sius hinterließ 10 000 Tonnen feiner Weine. Ein gewöhnliches Essen 
des Lncullus kostete 12 000 Sesterzien. Ein Sesterz hatte anfangs
	        
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