Full text: Erzählungen aus der Weltgeschichte

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hätten, wo sie sich ungestört unter ihresgleichen vergnügen könnten, 
erwiderte Joseph: „Wenn ich nur unter meinesgleichen sein wollte, so 
müßte ich in die Kaisergrust der Kapuzinerkirche hinuntersteigen und 
dort unter meinen toten Ahnen leben." 
2. Joseph und der Amtmann. Einst herrschte in Böhmen arge 
Teurung, so daß viele Einwohner bittre Not litten. Da ließ Joseph 
Getreide nach Böhmen schaffen und reiste selbst hin, um zu sehen, ob 
auch alles richtig und ordentlich verteilt würde. Unerkannt kam er in 
eine kleine Stadt. Vor dem Amthause hielten mehrere mit Korn 
beladene Wagen; die Bauern aber, denen die Wagen gehörten, standen 
dicht beisammen und sprachen heftig miteinander. Um die Ursache 
befragt, antworteten sie dem Kaiser: „Hier warten wir schon sehr lange 
und haben noch einen Rückweg von acht Stunden zu machen." „Das 
ist wahr," setzte der anwesende Amtschreiber hinzu, „und außer ihnen 
warten noch die Einwohner des Ortes seit mehreren Stunden vergeblich 
auf die Austeilung des Getreides." Der Kaiser, der nur einen einfachen 
Überrock trug, trat mit dem Schreiber in das Haus und sagte zu dem 
Amtmanne, der eben große Gesellschaft hatte: „Ich bin kaiserlicher 
Offizier und möchte Sie ersuchen, die armen Leute drunten abzufertigen, 
die schon so lange gewartet haben." „Die Bauern können noch länger 
warten," versetzte der Amtmann, „ich werde mich durch sie nicht in 
meinem Vergnügen stören lassen." „Aber man muß doch menschlich 
sein und die Leute nicht ohne Not plagen." „Sie haben mir keine 
Lehren zu geben, mein Herr; ich weiß, was ich zu tun habe." „Nun 
denn," rief der Kaiser entrüstet, „so muß ich Ihnen sagen, Herr Amt¬ 
mann, daß Sie mit dem Korn und seiner Austeilung gar nichts mehr 
zu schaffen haben. Sie sind von dem Kaiser, den Sie hier vor sich 
sehen, als ein Unwürdiger Ihres Amtes entsetzt. Die Verteilung aber 
besorgen Sie, Herr Amtschreiber; Sie sind von heute an Amtmann." 
3. Joseph als Arzt. Einer kranken armen Frau half der Kaiser 
als rettender Arzt aus ihrer Not. Als er einst in einer Vorstadt Wiens 
spazieren fuhr, streckte ein kleiner Knabe seine Hände zu dem vornehmen 
Wagen empor und rief: „Ach, gnädiger Herr, gebt mir einen Gulden!" 
Der Kaiser ließ halten und fragte den Jungen: „Wozu brauchst du 
denn so viel Geld?" Dieser antwortete: „Ich brauch's für den Doktor. 
Meine Mutter ist krank und hat mich fortgeschickt, einen Doktor zu 
holen. Aber keiner will für weniger als einen Gulden kommen, und 
doch ist meine Mutter so sehr krank. Ach, lieber Herr, schenkt mir 
einen Gulden; ich will gewiß in meinem Leben nicht wieder betteln."
	        
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