Full text: Geschichte des preußischen Vaterlandes

198 Christian Thomasius; August Hermann Franöe. 
überhaupt nicht so tiefer Ernst, wie einem Spener und Francke, sondern von 
einem ganz anderen Standpunkte aus griff er die lutherischen Theologen an: 
theils verwarf er ihre Lehren als mit der Vernnnstforschung nicht vereinbar, 
theils und besonders trat er gegen ihre Ansicht auf, daß die Fürsten die Pflicht 
hätten, mit äußerer Gewalt die Kircheulehre zu schützen und aufrecht zu er¬ 
halten. Er nahm sich nun auch des von den Leipziger Professoren hart an¬ 
gegriffenen Francke an; sein Wirken aber reizte den Kurfürsten von Sachsen 
so sehr, daß ihm das Halten von Vorlesungen, sowie die Herausgabe irgend 
einer Schrift verboten wurde; da er fürchten mußte, auch der Freiheit be¬ 
raubt zu werden, ging er nach Berlin. 
Friedrich III. nahm den Flüchtigen gern auf und benutzte diese Gelegen¬ 
heit, um den lang gehegten Plan der Gründung einer neuen Universität in 
Ausführung zu bringen. Die Kurfürsten hatten es seit ihrem Uebertritt zum 
reformirten Bekenntniß immer ungern gesehen, daß die Geistlichen für die 
märkischen Gemeinden fast sämmtlich von den Universitäten Wittenberg und 
Leipzig kamen. Schon der große Kurfürst hatte deshalb eine neue Univer¬ 
sität in Halle stiften wollen; sein Sohn führte das jetzt aus, indem er zu¬ 
nächst dem Thomasius gestattete, Vorlesungen dort zu halten, welche einen 
nm so größeren Zulauf fanden, weil sie nicht in lateinischer Sprache, wie man 
es bishin gewohnt war, sondern deutsch uud zugleich sehr faßlich und an¬ 
sprechend gehalten wurden. Seine Wohnung faßte bald die Zahl der Zuhörer 
nicht mehr und der Magistrat gab ihm einen öffentlichen Saal zur Benutzung. 
Als nun der Kurfürst nach Halle kam und hier eine große Anzahl vornehmer 
Studirender fand, welche Thomasius hingezogen hatte, beschloß er auf Dankel- 
mann's und Speuer's Rath die Gründung einer vollständigen Universität. 
August Hermann Francke wurde aus Leipzig, andere tüchtige Gelehrte 
aus allen Theilen Deutschlands berufen, und am 10. Juni 1692 erhielt die 
Universität ihr Privilegium vom Kurfürsten, welches der Kaiser im Jahre 
1694 bestätigte. Nun fand die feierliche Einweihung statt, und die neue Hoch¬ 
schule uahm einen so raschen Aufschwung, daß schon nach 10 Jahren über 
2000 Studirende dort gezählt wurden. 
Auch in jeder anderen Beziehung beförderte Friedrich III. die Wissen¬ 
schaft. Er berief den ausgezeichneten Gelehrten Samuel von Puffendorf 
nach Berlin, um das Leben des großen Kurfürsten zu schreiben, welchen Auf¬ 
trages sich der tüchtige Mann auf die freimüthigste und trefflichste Weise 
entledigte. 
August Hermann Francke, welchen wir als Kämpfer für einen leben¬ 
digen und thätigen Glauben mehrfach erwähnt haben, war zugleich selbst eines 
der schönsten Vorbilder eines demüthigen, in Liebe schaffenden Glaubens¬ 
lebens ; er ist der Gründer des Halleschen Waisenhauses, jenes „Siegesdenk¬ 
males des Gottvertrauens und der Menschenliebe." Seine fromme Schö¬ 
pfung ist einer der herrlichsten Erweise, wie mit kleinen Mitteln Großes her¬ 
vorgebracht werden kann, wenn ein ernster Glaube und wahrhaftige Liebe den 
befruchtenden Segen Gottes darauf herabziehen. Francke, im Jahre 1663 zu 
Lübeck geboren, war mit seinen Eltern zeitig nach Gotha gekommen, wo er 
im siebenten Jahre schon den Vater verlor. Seine Mutter ließ ihn im Hause 
weiter erziehen; sie selbst legte den Keim frommen Glaubens in ihn. Er
	        
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