Frankreich und die deutsche Einheit. 591
62. Der Krieg gegen Frankreich.
Frankreichs Stellung zu Preußen und Deutschland. Schon seit
dem Jahre 1866 hatte Frankreich mit Eifersucht auf die Entwickelung der
deutschen Verhältnisse geblickt. Kaiser Napoleon III., welchem es geglückt
war, im Verein mit England durch den Krieg in der Krim Rußlands
Macht sür eine Zeit lang zu lähmen und durch den italienischen Krieg
Oesterreichs Einfluß in Italien zu verdrängen, hatte der ^ deutschen Ver¬
wickelung nach dem dänischen Kriege mit der stillen Hoffnung zugesehen,
daß Oesterreich und Preußen einander nur gegenseitig schwächen würden,
und daß er alsdann der Schiedsrichter zwischen denselben und damit zu¬
gleich der Herr über Europa sein würde. Er hatte Österreich heimlich
zum Kampf gegen Preußen ermuntert und sich einen Antheil am Sieges¬
preise auf Kosten Deutschlands im voraus ausbedungen, während er gleich¬
zeitig auf Seiten Preußens seine Neutralität zur Vergrößerung Frankreichs
auf Kosten der Nachbarstaaten zu verwerthen bedacht war. Es gelang ihm
freilich nicht, von preußischer Seite irgend ein Zugeständniß in solcher
Richtung zu erlangen. Napoleon aber mochte mit Zuversicht darauf rechnen,
daß Preußen, Falls es überhaupt als Sieger aus dem Kampfe hervor¬
ginge, doch jedenfalls so geschwächt sein würde, daß es nicht umhirt^ könnte,
Frankreich nachträglich große Zugeständnisse zu machen. Um so größer^war
die Bestürzung der französischen Regierung, als Preußen in einem ^eld-
zuge von wenigen Wochen Oesterreich und seine Verbündeten vollständig
besiegte und nach dem entscheidenden Siege von Königgrätz noch in voller
Kraft, ja mit größerer Heeresmacht, als beim Ausbruch des Krieges, da¬
stand. Kaiser Napoleon beeilte sich, auf Oesterreichs Anrufen, den Frieden
von Nicolsburg zu vermitteln, nachdem Oesterreich sich zunächst dazu hatte
verstehen müssen, Venetien zu Gunsten Italiens an den Kaiser Napoleon
abzutreten. Für Frankreich selbst hoffte Napoleon aber einen Lohn aus
Preußens Hand zu empfangen, und trat alsbald mit Anträgen wegen einer
Landabtretung an Frankreich hervor. Im August 1866 legte der franzö¬
sische Botschafter in Berlin, Graf Benedetti, einen vom Kaiser Napoleon
genehmigten Vertragsentwurf vor, nach welchem die im Jahre 1814 von
Frankreich zurückeroberten deutschen Gebietstheile Preußens, Baierns und
Hessens auf dem linken Rheinufer wieder mit Frankreich vereinigt wer¬
den sollten. Für den Fall der Ablehnung dieser Forderungen wurde eine
Kriegsdrohung hinzugefügt.
Die preußische Regierung wies jedoch das dreiste Ansinnen mit
Entschiedenheit zurück. König Wilhelm erklärte, daß auch „nicht ein
Fuß breit deutscher Erde" an Frankreich abgetreten werden solle. Der
französischen Kriegsdrohung aber begegnete Preußen damit, daß alle Ein¬
leitungen getroffen wurden, um nöthigen Falls einen Theil der noch in
Böhmen stehenden Armeen sofort an den Rhein werfen zu können. Gegenüber
dieser festen Entschlossenheit zog Frankreich seine Anträge fürs Erste zurück,
um sie bald daraus in anderer Gestalt, aber mit ebenso geringem Erfolge
zu erneuern. Als Kaiser Napoleon sich überzeugt hatte, daß an eine Ver-
größerung Frankreichs aus Kosten Deutschlands mit Preußens Hülse nicht