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Neunziger Jahre.
VolkSbil-
dungsbestrc-
bungen.
Arbeitern am Mittelrhein und in Württemberg. 1892 trat der
Gegensatz in voller Schärfe hervor, der Bruch ward aber durch ein
sogenanntes Kompromiß-Programm, das 1893 während des vierten
evangelisch-sozialen Kongresses zu stände kam, noch einmal verhin¬
dert. Da es aber doch im allgemeinen einen Sieg der „Jungen"
über die „Alten" bedeutete, so hat es seine einigende Kraft nicht
lange bewährt. Zwischen den beiden Richtungen bleibt ein Gegensatz
bestehen, der die Weiterentwicklung der Arbeitervereinsbewegung
ungünstig beeinflußt.
„Der letzte Grund aller sozialen Gefahr," sagt Schmoller
(s. S. 212), „liegt nicht in der Dissonanz der Besitz-, sondern der
Bildungsgegensätze." Von dieser Anschauung waren auch die kirch¬
lichen Kreise bei ihren Sozialreformbestrebungen beeinflußt. Für die
Gesellschaft bedeutet die geistige Verwahrlosung der Massen nun
schon deshalb eine schwere Gefahr, weil sie durch das allgemeine,
gleiche und geheime Wahlrecht aus die Gesetzgebung Einfluß üben.
Von dieser Erwägung geleitet verlangten viele Erweiterung des
Volksunterrichts, damit auch über die Grundlagen der Staats¬
und Gesellschaftsordnung und über Anfangsgründe der Volkswirt¬
schaft Belehrungen erteilt würden, Gründung von Fortbildungs¬
schulen u. a. nt. Über den Wert solcher Volksbildungsbestrebungen
waren und find die Ansichten geteilt. Ten niederen Klassen „die
Schwielenhaut abstreifen", sie durch Bildung unzufrieden machen,
halten manche für eine Grausamkeit. Wirkliche Bildung wird doch
nicht erreicht, höchstens oberflächliche Halbbildung; wie Blinden nicht
von Farbenpracht, so soll auch der „ewig blinden" Masse nicht von
geistigen Gütern gesprochen werden. Stets wird neben dem Denker,
der den Wandel der Gestirne berechnet, der Hirt stehen, der sich
ihres goldenen Glanzes harmlos erfreut. Weshalb also den zwischen
festen Ufern fließenden Strom der Bildung in das flache Land leiten,
wo er als seichtes Wasser sich weithin ausdehnt? Andere hingegen