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sonst hatte Hagen gespottet, Siegfried komme nicht wieder, er sei be¬ 
graben vor langer Zeit. Er kam wieder, er hatte fortgelebt in 
Kriemhilds Brust, in Kriemhilds Kummer, und sein Schwert hob sich 
rächend in ihrer Hand. 
Daneben Gndruu, die treue Braut, in der in vollendetster 
Weise zur Erscheinung gelangt die unbezwingbare Macht eines lieben¬ 
den weiblichen Herzens, die freiwillige Ausdauer in Not und Kummer, 
das beharrliche Verschmähen eines glänzenden Loses um der Treue 
willen, die von dem Geliebten nimmer lassen mag. Hinweggeführt 
aus der zerstörten Heimatsburg, dem Verlobten gewaltsam entrissen, 
hat sie die Wahl, mit Hartmut, ihrem Entführer, in Normannenland 
bte Krone zu tragen oder der schmachvollen Dienstbarkeit sich zu 
unterwerfen. Ihre Wahl ist balb getroffen: sie verschmäht bte Krone 
und wählt bie Knechtschaft. Mit bloßen Füßen geht bie Königs¬ 
tochter znm Mceresftrmtbe, um ber Königin Gerlinbe zn waschen wie 
eine Mcigb. Dort finbet sie ihr Verlobter wieber. Es ist anfangs 
nur ciit halbes Erkennen, ein leises Ahnen, bas erst burch bie Ringe 
ein beit Hänben ber Verlobten bestätigt werben muß: ein schönes Bei¬ 
spiel ber Treue, bie stillkräftig im Herzen fortlebt, wenn auch Zeit 
unb Schicksal bie äußeren Zuge verwaubeln itnb bie Silber ber Er¬ 
innerung zu verwischen brohen. 
30. Der Einfluß des Christentums auf die Stellung 
der Frau. 
Die heilige Schrift erzählt uns, Gott habe bas Weib aus ber 
Seite bes schlafenben Mannes gebilbet. Hierin liegt eine sinnvolle 
Deutung. Das Weib ist nicht hervorgegangen aus bem Haupte bes 
Mannes, baß sie über ihn herrsche, nicht aus bem Fnße, baß sie 
sklavisch zu seinen Füßen liege, sonbern ans ber Seite, baß sie ihm 
treu zur Seite stehe unb seine Gefährtin unb Genossin werbe. Das 
Familienleben, welches Gott burch jenen Akt im Parabiese begründete, 
sollte bnher in bem liebevollen Verhältnisse bes Mannes zum Weibe, 
ber Eltern zu ben Kinbern, ber Geschwister unb Angehörigen unter- 
einanber eine Quelle ber heiligsten Pflichten, ber reinsten Freuben 
unb ebelsten Empstnbungen werben. Aber bieses ursprüngliche Ver¬ 
hältnis würbe burch kalte, herzlose Selbstsucht balb getrübt' burch eine 
schimpfliche Erniebrigung bes Weibes. Von bem Volke Israel abge¬ 
sehen, bas mit bem Glauben an Jehovah immer noch eine verhält¬ 
nismäßig reinere Sittenlehre sich bewahrte, bieten uns bie heib- 
nischen Völker bes Altertums, bie im Sinnenleben entnervten Orientalen, 
wie bie feiitgebilbeten Griechen unb kriegsmutigen Römer in Hinsicht 
auf bas Familienleben kein erfreuliches Bilb.
	        
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