1. Leben und Sitten der Germanen?)
Aus der „Germania" des Tazitus, ca. 100 n. Chr. (vgl. Band I, Nr. 87).
Sehr oft übersetzt; hier nach M. Oberbreyer.
Daß die germanischen Völker keine Städte bewohnen, sie nicht ein¬
mal zusammenhängende Wohnsitze lieben, ist allbekannt. Einsam und ab¬
gesondert siedeln sie sich an, wo gerade ein Quell, eine Aue, ein Gehölz
sie einladet. Ihre Dörfer bestehen nicht wie die unseren aus verbundenen,
zusammenhängenden Häuserreihen; jeder umgibt sein Haus rings mit einem
freien Platz, entweder zum Schutz gegen Feuersgefahr, oder vielleicht weil
sie es überhaupt nicht besser verstehen. Sogar Mauersteine und Ziegel
sind ihnen unbekannt; alles wird rohes Gebälk, ohne Bedacht auf Schön¬
heit und Anmut. Nur einzelne Stellen des Baues werden sorgsamer mit
einer reinen, glänzenden Erdart übertüncht, so daß es wie Malerei und
Farbenzeichnung aussieht. Auch unterirdische Höhlen graben sie aus, die
sie oben mit einer starken Dungschicht beschweren, als sichere Wohnung im
Winter und zum Bergungsort für Feldfrüchte. Ein solches Gelaß mil¬
dert die Kälte des Winters und falls einmal der Feind ins Land bricht,
fo plündert er doch nur, was offen da liegt, während jene verborgenen
und vergrabenen Schätze ihm unbemerkt bleiben oder gerade deshalb ent¬
gehen, weil er sie vorher suchen müßte.
Die allgemeine Tracht ist ein Mantel, der mit einer Spange oder
in deren Ermangelung mit einem Dorn zusammengehalten ist. So bringen
sie den ganzen Tag am Herdfeuer zu. Nur die Wohlhabendsten tragen
ein besonderes Gewand, das nicht wallend, wie das sarmatische und per¬
sische, sondern enganliegend ist und jeden Körperteil hervortreten läßt.
Auch Tierfelle tragen sie; die in der Nähe des Rheins ohne weitere Aus¬
wahl, die weiter im Innern mehr auserlesene, da kein Handelsverkehr
ihnen andern Schmuck liefert. Sie suchen daher die verschiedenen Tier-
*) Der Name der Germanen (keltisch, = Nachbarn?) wird geschichtlich
zuerst erwähnt zum Jahre 222 v. Chr. von der nachstehenden Inschrift in den
154^ zu Rom entdeckten Resten der kapitolinischen Fasten (Abbildung bei
L. Stacke, Deutsche Geschichte, 3. Aust. Bielefeld 1882, Bd. I, S. 4.):
,,M. Claudius, Sohn des Marcus, Enkel des Marcus Marcellus,
hat im Jahre 53 [feit der Gründung Roms, = 222 v. Chr.], als
Konsul am 1. März triumphiert über die insnbrischen Gallier und
die Germanen.
Er hat dabei eine Hauptbeute heimgebracht, da der Anführer der
Feinde, Virdumar, von ihm getötet worden." —
Quellenstücke über das Auftreten der Germanen im römischen Altertum
vgl. im übrigen in Bd. I, Nr. 72: Cimbern und Teutonen, 77: Caesars Rhein¬
übergang, 86: Varusschlacht, 87: Germanikns auf der Stätte der Varusschlacht.
Zurbonsen, Quellenbuch. H. 1