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Noch bei vielen merkwürdigen Städten, Burgen und Schlöffern fährt das 
Dampfschiff vorbei. Endlich nach neunstündiger Fahrt landet es in der Nähe 
von Wien. Hier am Donauhafen ist ein beständiges Gewimmel von Menschen 
und Wagen; man merkt die Nähe der großen Stadt. 
3. Die Naiserstadl. 
Die Hauptstadt des österreichischen Kaiserstaates liegt in einer trefflich an¬ 
gebauten, durch Abwechslung von Berg, Ebene und Master sehr angenehmen 
Gegend am rechten Ufer der Donau. Der Strom ist fortwährend von Schiffen 
bedeckt, welche die Erzeugniste des fernen Ostens vom schwarzen Meer her dem 
Vaterlande zuführen. Im Norden der Stadt bildet er mehrere reizende Inseln, 
die mit schattenreichem Gehölz, herrlichen Anlagen und prächtigen Gebäuden 
geschmückt sind; im Westen erblickt man eine Kette nicht sehr hoher Berge, an 
und zwischen welchen anmuthige Wälder, liebliche Weinpflanzungen, lachende 
Fluren, blühende Gärten mit prachtvollen Landhäusern die angenehmste Abwechs¬ 
lung darbieten. Im Osten eröffnet sich dem Blicke eine unabsehbare, fruchtbare 
Ebene, welche sich bis nach Ungarn hin erstreckt. Hohe, zum Theil mit Schnee 
bedeckte Berge begrenzen die weite Aussicht im Süden. 
Die Straßen der eigentlichen Stadt sind eng und meist unregelmäßig ge¬ 
baut. Der Verkehr der Menschen und der auf- und abfahrenden Wagen ist in 
einzelnen Theilen so groß, daß der Fußgänger nicht selten in Lebensgefahr 
kommt. Weitläufiger und freundlicher sind die 34 Vörstädte, welche die Stadt 
in einem großen Halbkreise umgeben und von derselben durch grüne Rasen¬ 
plätze und herrliche Baumpflanzungen geschieden sind. Einwohner zählt Wien 
gegen eine halbe Million, Deutsche, Jtaliäner und Ungarn. Man sieht oft auf 
den Straßen Fremde aus dem Orient (dem Morgenland), die sich in Wien 
des Handels wegen aufhalten und an ihrer eigenthümlichen bunten Volkstracht 
leicht erkannt werden. Der höchste Adel und die reichsten Kaufleute des Kai¬ 
serstaates wohnen in Wien. Darum ist die Stadt reich an großen Palästen 
und geschmackvollen Läden, in welchen die Waaren des Luxus zur Schau ge¬ 
stellt sind. Unter allen Bauwerken tritt eins ganz besonders hervor; es ist die 
Stephanskirche mit ihrem 420 Fuß hohen Thurme. Diese im Mittelalter wäh¬ 
rend dreier Jahrhunderte aus Sandsteinquadern erbaute Kirche ist eine der 
schönsten in der Welt und ein vorzügliches Denkmal altdeutscher Baukunst und 
christlicher Frömmigkeit. 
Sehenswerth ist auch der sogenannte Prater. Derselbe ist ein auf einer 
Donauinsel gelegener Lustgarten. Er wird fleißig von den Wienern besucht; 
an schönen Frühlingstagen bewegen sich in seiner langen Hauptallee oft Tau¬ 
sende von stattlichen Karossen mit geschmückten Herren und Damen hin und 
her. Der eigentliche Tummelplatz des Volkes ist der eigentliche Wurstprater, 
wo zahlreiche Volksmasten in Kaffee-, Bier- und Weinhäusern, Kegelbahnen, 
Schaukeln und Karustels oder bei Kunstreitern, Thierbändigern u. dgl. ihrem 
Vergnügen nachgehen. Türkische Musik, Jubel und Lärmen von Erwachsenen 
und Kindern erschallt überall, auf freien Plätzen, wie aus den Zblten, die zwi¬ 
schen den grünen Bäumen aufgeschlagen sind. — Die Wiener sind ein gar lusti¬ 
ges Volk und lieben ihre „Kaiserstadt" mit großer Innigkeit.
	        
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