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Großmacht gewesen. Die Polen bildeten einen durch starke Bei¬
mengung deutsch-germanischen Blutes wesentlich verbesserten slawischen
Stamm, der schon um 950 sich staatlich einigte. Boleslaw I. Chrobry
(der Kühne, 992—1025) errichtete ein großpolnisches Reich, das er
weit nach Westen und Osten ausdehnte und das von der Elbe bis nach
Kiew reichte. Das hätte dem deutschen Reiche ungemein schädlich wer¬
den können, zum Glücke aber zerrütteten Thronstreitigkeiten das Land
und ermöglichten so die deutsche Besiedlung nach Osten zu. Aber
Wladislaw I. (1306—33) vereinigte Großpolen mit Kleinpolen und
erneuerte so das polnische Reich, machte sich vom deutschen Kaiser un¬
abhängig und nahm auch den Königstitel an. Seitdem ward Polen
wiederum dem Deutschtum ungemein gefährlich, zumal unter den litaui¬
schen Jagellonen (1386—1572), die dem polnischen Reiche Litauen ein¬
brachten. Sie richteten ihre Blicke auf das preußische Ordensland und
im Thoruer Frieden (1466) erwarben sie Westpreußen mit Pomerellen,
Ermland und Kulm und dazu die Oberlehnshoheit über Ostpreußen.
Durch glückliche Kriege vergrößerten sie ihr Land, eroberten Livland,
Masowien und andre Gebiete. Um 1570 erreichte Polen seine größte
Ausdehnung und umfaßte gegen 940000 qkm mit etwa 15 Millionen
Einwohnern. So war es das mächtigste Reich Osteuropas und gebot
von der Ostsee bis beinahe an das Schwarze Meer. Ihm wäre eigentlich
die Rolle zugekommen, welche später Rußland zufiel, wenn es nicht
1572 beim Aussterben der Jagellonen in ein Wahlreich verwandelt
worden wäre. Jedes Wahlreich wird der Tummelplatz wilder Partei¬
kämpfe und zerrüttender Bürgerkriege. Dies zeigte und rächte sich auch
au Polen. Seitdem ging es unaufhaltsam abwärts mit ihm, ins¬
besondere aber, als ihm tn Rußland feit Peter dem Großen ein ge¬
fährlicher und ländergieriger Nachbar erstand.
Seit 1572 war die polnische Königskrone käuflich und wer am
meisten bot, der bekam sie. Bestechlichkeit war an der Tagesordnung.
Je ohnmächtiger die Königsgewalt war, t>esto_ allmächtiger war der
Adel, der die ganze Staatsgewalt an sich gerissen hatte. Der Adel
hatte nebst der Geistlichkeit den Grundbesitz inne. Er bestand aus
dem niedern unb höhern und höchsten Adel. Der niedere Adel zählte
etwa 15—20 000 Glieber, von benen jebes ein ober zwei Dörfer be¬
saß. Er war bem höheren Abel unterworfen, ber aus etwa zwei
Dutzenb Adelsgeschlechtern zusammengesetzt war. Uber biefen erhob
sich ber höchste Abel, ber ungefähr zehn Abelsfamilien umfaßte. Gegen
biefe war bas Königtum völlig ohnmächtig. Trotz bes Königs bilbete
Polen in Wirklichkeit eine Abelsrepublik unb ber König war nicht
mehr als bereu Präsident. Bei jeber Wahl würben bem neuen Könige
bie Befugnisse geschmälert und dem Hochadel die Vorrechte neu be¬
stätigt. Jeder Adlige konnte durch fein freies Nein (Veto) jeglichen
Reichstagsbeschluß umstoßen. Eine geordnete Regierung war dadurch.