fullscreen: Deutsches Lesebuch mit Bildern für Volksschulen

J 
332 
auf einer der Jollen nach dem Binnenhafen, mitten durch die Handelsschiffe 
aller Nationen hindurch und von da nach dem Baumhause. Überall um¬ 
schwärmt uns das regste Leben. Welche Menge von Wirtshäusern, Waren¬ 
lagern und Gewölben, alle mehr oder minder für die Bedürfnisse des See- 
5 fahrers berechnet. Sieh die Aushängeschilder; neben der deutschen erscheint 
auch die englische und französische, ja selbst die spanische Sprache. Achte 
auf die Sprachen der Matrosen und Schiffsleute; ist es nicht, als befänden wir 
uns in einem Babel oder in irgend einem wildfremden Lande, da selbst das 
Plattdeutsche des nordischen Schiffers uns unverständlich ist? Ja selbst der 
10 uns so wohl bekannte Elbstrom scheint ein ganz anderer zu sein; man fühlt, 
dass Hamburg eine „Weltstadt“ ist. Alles erinnert an das See- und Matrosen- 
• leben. Begieb dich zum Bäcker, und du findest Massen von Schiffszwieback, 
beim Fleischer gewaltige Vorräte eingepökelten und geräucherten Fleisches. 
Nimm ein Zeitungsblatt in die Hand und lies diese Anzeigen in mehreren 
15 Sprachen für die Schiffskapitäne. Dieser Kaufmann empfiehlt Spiritus und 
spanische Weine, jener dort Ankertaue und Teer, ein dritter hat grosse 
Lager blau- oder rotgestreifter Matrosenhemden, ein vierter wollene Mützen 
und Tücher, wie sie diese wetterbarschen Menschen bald um den Hals, bald 
um den Leib zu schlagen pflegen. 
20 Folge mir an das mit Kranen zum Ausladen der Schiffsgüter reichlich 
besetzte Bollwerk, sieh die müssigen Schiffer, welche den Vorübergehenden 
ihre Jollen zu einer Fahrt in den Hafen anbieten! Und wie wird dieser 
in allen Richtungen durchkreuzt! Dies sind nicht bloss Fahrten zum Ver¬ 
gnügen und zur Befriedigung der Schaulust, da sind es bald Rheder, bald 
25 Geschäftsleute, bald Mäkler, welche bald nach dem, bald nach jenem Schiffe 
fahren, um Befehle zu überbringen oder eingekommene Waren an Bord zu 
besichtigen. Pfeilschnell schiessen die kleinen Jollen in den engen, von den 
Schiffen freigelassenen Gassen hindurch. Denn gewandt, wie die Droschken¬ 
kutscher in Paris oder London ihre Fuhrwerke, verstehen diese Schiffer 
30 ihre Jollen zu regieren. Fast unheimlich wird uns in unserer Nussschale, 
wenn wir neben den palastähnlichen Kauffahrteischiffen vorbeifahren, jenen 
stolzen Dreimastern, von denen mancher schon die fernsten Länder des 
Erdballs besuchte und nach Sturm und Wetter seine reichen Lasten glücklich 
in den heimischen Hafen brachte. Sieh auf jenem Verdeck die Matrosen in 
35 schwerer Arbeit, jene sonnverbrannten Gesellen mit schwarzbrauner Haut und 
nervigem Arm. Höre, wie sie unter stofsweisem Gesänge schwere Lasten auf- 
winden. — Hier weht die weiss- und rotgestreifte Flagge Nordamerikas neben 
dem blutroten Banner Englands, da ein Stadtwimpel neben der stolzen Flagge 
des Weltumseglers. Hier hört man ein rauhes nordisches Lied, dort die 
40 sanfte italienische Canzone oder einen spanischen Gesang; da schallt uns 
ein britischer, französischer, dänischer Fluch, dort ein treuherziges „Will" 
kommen“ entgegen. Die buntesten, wechselvollsten Bilder sind es, welche 
uns umgeben. 
Doch zurück in die Strassen der Stadt, hin nach der neuen Börse. Nicht 
45 Hunderte, sondern Tausende von Kaufleuten wandern hier auf und ab. Es ist 
eben Börsenzeit zwischen 1 und 3 Uhr nachmittags. In der grossen, 40 
Meter langen, 20 Meter breiten und 25 Meter hohen, von Bogengängen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.