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3. Hemmungen der Reformation durch Ausstände.
a) Die Wittenberger Unruhen.
Während Luther auf der Wartburg an der Übersetzung der Heiligen Schrift
arbeitete, suchte sein Freund Karlstadt der Reformation Eingang zu verschaffen.
Auf sein Drängen wurden die Klöster geschlossen, die Messe und die Ohren¬
beichte abgeschafft, und das Abendmahl wurde in beiderlei Gestalt gereicht.
Luther war mit den Anordnungen einverstanden, denn sie entsprachen seinen
Ansichten und seiner Lehre. Da kamen die Awickauer Schwärmer nach
Wittenberg; sie gaben an, mit dem lieben Gotte vertraute Unterredungen
zu führen und von ihm außerordentliche Offenbarungen zu erhalten. Sie
verwarfen die Bibel, hoben die Kindertaufe auf und entfernten allen Schmuck
aus den Kirchen. Orgeln, Altäre und Bilder verschwanden unter tumulta¬
rischen Auftritten aus den Gotteshäusern. Mit diesen überspannten Menschen
verband sich nun Karlstadt zu weiteren Reformen. Die Geistlichen sollten
ihres Amtes entsetzt werden, das gelehrte Studium sollte aufhören, die höheren
Schulen sollten geschlossen werden. Die wissenschaftliche Auslegung der Heiligen
Schrift sei überflüssig, da der heilige Geist den Gläubigen das Richtige jederzeit
eingebe. Von den Kanzeln herab sollten Laien und Handwerker ihre Eingebungen
verkündigen. Bald zeigten sich die Folgen dieser sonderbaren Lehre; in Wittenberg
ging es drunter und drüber, und die Zahl der Studenten nahm bedenklich ab.
Da hielt es Luther in seinem sicheren Verstecke nicht mehr aus; er verließ die
Wartburg und machte sich zu Pferde auf nach Wittenberg. Im März des Jahres
1522 langte er dort wohlbehalten an und predigte acht Tage so gewaltig gegen
die Umstürzler, daß sie jeden Anhang verloren. Sie verließen mit Karlstadt die
sächsische Hauptstadt. Nun führte Luther nach und nach eine neue Ordnung des
Gottesdienstes ein.
b) Der Aufstand der Reichsritter.
Die allgemeine Bewegung, die durch Luthers Auftreten in Deutschland
ausgebrochen war, suchten sich auch die Reichsritter zunutze zu machen.
Durch das Auskommen der Geldwirtschaft und durch die Einführung der Lands¬
knechtsheere hatten sie an Macht und Ansehen eingebüßt. Sie waren die Feinde
der Fürsten und Städte. Viele verbanden sich zu einem Bunde, an dessen Spitze
Franz von Sickingen und Ulrich von Hutten standen. Beide wollten
die neue Lehre mit Gewalt einführen und der weltlichen Herrschaft der
Bischöfe ein Ende machen. Zugleich hatten sie die Absicht, die Macht der Landes¬
fürsten zu brechen und der Ritterherrschaft bei der Verwaltung des Reiches eine
einflußreiche Stellung zu verschaffen. Sie hofften, in Luther Unterstützung zu
finden; er aber lehnte jede Gemeinschaft mit ihnen ab, da er nur durch das Wort
Gottes die Reform durchführen wollte. Trotzdem schlug Sickingen los; er wandte sich
mit einem kleinen Heere gegen den Erzbischof von Trier in der Hoffnung, daß
kein weltlicher Fürst diesem helfen würde. Aber die Fürsten erkannten die Gefahr
und vereinigten sich; während Sickingen Trier belagerte, eilten der Kurfürst
von der Pfalz und der Landgraf Philipp von Hessen dem bedrängten Erzbischof