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Franzosen befanden. Aber sie fanden kein Gehör; mit 160 000 Mann ging der Kaiser
weiter. Er sah nur das russische Heer vor sich, das er vernichtend schlagen mußte,
wenn er den Frieden diktieren wollte. Bis jetzt waren die Russen zurückgegangen;
bei Borodino nahmen sie endlich die Schlacht an. Mit furchtbarem Ingrimm
wurde am 7. September gefochten; die Russen wurden zwar besiegt, aber nicht
vernichtet. Erst am andern Morgen verließen sie das Schlachtfeld und zogen nach
Moskau, das sie den Franzosen ohne weiteren Kampf preisgaben. Napoleon hatte
also abermals sein Ziel nicht erreicht; mit ungefähr 100 000 Mann, die ihm nach
dm furchtbaren Gemetzel noch übrig geblieben waren, setzte er seinen Marsch fort.
Am 14. September erreichte er die Höhen vor Moskau und betrachtete leuchtenden
Auges die Hauptstadt seines Feindes.
e) D as Heer in Moskau und auf d em Rückzüge.
Ant nächsten Tage hielt er seinen Einzug. Aber welche Enttäuschung mußte
er erleben! Keine Behörde erschien, um den Sieger zu begrüßen, und keine jubelnde
Menschenmenge begleitete den Tritt seiner Garde. Die Riesenstadt war wie aus¬
gestorben; fast alle Einwohner waren geflohen, nur zuweilen lugte ein Auge hinter
den verschlossenen Fensterladen hervor. Und doch waren die Truppen guten Mutes;
endlich winkten ihnen nach unendlichen Strapazen Ruhe und reichliche Lebens¬
mittel. Allein auch sie sollten enttäuscht werden. Kaum hatte Napoleon den kaiser¬
lichen Palast, den Kreml, bezogen, so liefen auch schon Meldungen ein, daß an ver¬
schiedenen Stellen Feuer ausgebrochen fei. Zugleich erhob sich ein fürchterlicher
Sturm, der die gefräßigen Flammen anfachte, so daß sie von Dach zu Dach, von
Straße zu Straße, von Stadtteil zu Stadtteil übergriffen. Bald war Moskau
ein wogendes Feuermeer. Der Kaiser mußte den Kreml verlassen; er hatte die
Überzeugung gewonnen, daß die Brandlegung von den Russen vorbereitet war,
um die Reichtümer und Vorräte nicht in die Hände der Franzosen fallen zu lassen.
Dennoch hielt Napoleon über einen Monat auf bei grausigen Trümmerstätte aus,
weil er glaubte, der Zar würde ihm Friedensanträge stellen. Er sah nicht die Not¬
lage seiner Armee, er bedachte nicht, daß der Winter vor der Tür stand; seine Seele
erwog große Pläne, er verglich sich mit Alexander dem Großen, indem er einmal
meinte, der Makedonier hätte es bis zum Ganges ebenso weit gehabt, wie er von
Moskau. Napoleon wollte sich noch nicht eingestehen, daß der Feldzug für ihn
verloren war. Aber Alexander blieb fest; er wies alle Friedensanträge zurück
und verstärkte seine Armee.
Am 19. Oktober endlich verließ der Kaiser Napoleon die Hauptstadt seines
Feindes. Er hatte die Absicht, zu nt Rückzug eine andere Straße zu wählen; aber
der russische Feldherr Kutusow zwang ihn, die alte Heerstraße zu benutzen.
Vorbei ging es nun in Eilmärschen an den zerstörten Dörfern und Ortschaften,
vorbei auch an dem entsetzlichen Schlachtfelde von Borodino, wo jetzt noch die
uubestatteteu Toten lagen. Bald waren die Lebensrnittel, die die Soldaten aus
Moskau mitgenommen hatten, verzehrt. Der Hunger begann sich fühlbar zumachen
und dennoch war im weiten Umkreise kein Brot und kein Schlachtvieh aufzutreiben.
Haufenweise entfernten sich die hungernden Krieger von dem Heere. Keiner sah