Full text: Geschichtliches Lesebuch

und Diakonissen (s. u.) die Gefangenen regelmäßig besuchen dürfen. 
Schon während der Gefangene seine Strafzeit verbüßt, setzt sich die 
Kirche mit seinen Angehörigen in Verbindung; denn für die Zukunft 
des Entlassenen ist es von entscheidender Bedeutung, welche Familien¬ 
verhältnisse er zu Hause vorfindet. Äußeres Elend, sittliche Ver¬ 
kommenheit, Trauer oder Wut über den Fall des Angehörigen usw. 
bieten der Kirche Anknüpfungspunkte. Nach der Entlassung aus 
dem Gefängnis ist vor allen Dingen nötig, dem Freigelassenen 
Arbeit zu verschaffen, meistens auch ihn zu beraten, zu trösten, zu 
warnen und Fürsprache einzulegen, wenn ihm Härte oder ungerechtes 
Mißtrauen begegnet. 
In den siebziger Jahren hat man die Zahl derjenigen Menschen, 
die sich in Deutschland arbeitslos umhertrieben, auf 200000 geschätzt. 
Unter den Arbeitslosen lassen sich zwei große Abteilungen machen, 
die Hilflosen und die Liederlichen. Im einzelnen Falle die Art des 
Mannes zu erkennen und dem Arbeitslustigen wieder zu einem 
geordneten Dasein zu verhelfen, ist Aufgabe der Arbeiterkolonien. 
Die Arbeiterkolonien sind von Pastor von Bodelschwingh in Bielefeld 
gegründet worden. Bodelschwingh ließ seit Jahren in seiner Anstalt 
für Epileptische arme Wanderer speisen und erkannte, daß die Ver¬ 
lorenen und Gefährdeten unter jenen Wanderern nur dadurch gerettet 
und bewahrt werden können, daß man ihnen Arbeit verschaffe. 
Im Jahre 1882 stiftete er bei Bielefeld die Arbeiterkolonie Wilhelms¬ 
dorf, welche bald vielfache Nachahmung (auch in Hamburg) gefunden. 
In den Kolonien wird land- und forstwirtschaftliche Arbeit betrieben, 
und zwar möglichst solche, welche auch im Winter einer größeren 
Anzahl von Leuten zu tun gibt (Meliorationsarbeiten); außerdem 
werden die Kolonisten in den sich von selbst ergebenden Haus-, 
Bureau- und Handwerksarbeiten innerhalb der Kolonie beschäftigt, 
Ferner hat sich die christliche Liebe der Waisen, der Taub¬ 
stummen, der Blinden, der Idioten, der Fallsüchtigen, der Verkrüppelten, 
der Kranken und der Irren angenommen. 
Alle diese Werke der Barmherzigkeit, in denen sich die Lebens¬ 
kraft der christlichen Kirche offenbart, bezeichnet man als innere Mission. 
Dabei ist jedoch immer zu beachten, daß der inneren Mission da Not 
und Elend am größten erscheinen, wo die Menschen gleichgültig 
gegen Jesus geworden oder sich gar feindselig von ihm abwenden. 
Darum sieht die innere Mission ihre Aufgabe nicht allein darin, 
äußere Hilfe zu leisten, sondern verbindet mit dieser Liebestätigkeit 
die Verkündigung des Evangeliums in Wort und Schrift. 
Für die umfangreiche Tätigkeit der inneren Mission sind 
zahlreiche Arbeiter nötig, und diese findet die Kirche in Geistlichen 
und Kandidaten, sowie in Diakonen und Diakonissen. 
Das Diakonen- oder Brüderhaus ist eine Schöpfung Johann 
Hinrich Wicherns. Wiehern brauchte in seinem Rettungshaus für 
verwahrloste Kinder junge Leute als Gehilfen. Dieselben nannte er 
Brüder, weil sie den ihnen anvertrauten Kindern wie ältere Brüder 
zur Seite stehen und miteinander in brüderlicher Gemeinschaft unter 
Christo leben sollten. Später verwendete Wiehern die Brüder auch
	        
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