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Huftlärung und Staat
D. Aufklärung und Staat.
X. Zean Jacques Rousseau.1
a) I. Buch, 1. Kap. Der Mensch mirö frei geboren, und
überall ist er in Banden, mancher hält [ich für den Herrn feiner
Mitmenschen und ist trotzdem mehr Sklave als sie. wie haben sich diese
Umwandlungen zugetragen? Ich weiß es nicht, was kann ihr Recht¬
mäßigkeit verleihen? Diese Frage glaube ich beantworten zu können.
Würde ich nur auf die Gewalt und die Wirkungen, die sie hier her¬
vorbringt, Rücksicht nehmen, so würde ich sagen: solange ein Volk durcb
Übergewalt gezwungen wird, zu gehorchen, so tut es wohl, wenn es
gehorcht; sobald es sein Joch abzuschütteln imstande ist, so tut es noch
besser, wenn es dasselbe von sich wirft; denn sobald es seine Freiheit
durch das nämliche Hecht wiedererlangt, welches sie ihm geraubt hat,
so ist es entweder befugt, sie wieder zurückzunehmen, oder man hat sie
ihm unbefugterweise entrissen, allein die gesellschaftliche Ordnung ist
ein geheiligtes Recht, welches die Grundlage aller übrigen bildet. Dieses
Recht entspringt jedoch keineswegs aus der Natur, es beruht folglich
auf Verträgen
I. Buch, 2. Kap. Die gemeinsame Freiheit ist eine Folge der Natur
des Menschen. Sein erstes Gesetz verlangt von ihm, über seine eigene
(Erhaltung zu wachen; seine hauptsorge ist die, welche er sich selbst
schuldig ist, und sobald er zu dem Alter der Vernunft ge¬
kommen, ist er allein Richter über die zu seiner (Erhal¬
tung geeigneten Mittel und wird dadurch sein eigener
Herr.
I.Buch, 4.Kap. Da kein Mensch eine natürliche Gewalt über seines¬
gleichen hat, und da die Stärke kein Recht gewährt, so bleiben also die
Verträge als die einzige Grundlage jeder rechtmäßigen Gewalt unter
den Menschen übrig
stuf seine Freiheit verzichten, heißt auf seine Mensch-
h eit, die Menschenrechte, ja selb ft auf seine Pflichten ver¬
zichten.... (Es ist ein nichtiger und mit sich selbst in Widerspruch
stehender Vertrag, auf der einen Seite eine unumschränkte Macht und
auf der anderen einen schrankenlosen Gehorsam festzusetzen....
I.Buch, 6.Kap. An die Stelle -er einzelnen Person jedes vertrag-
abfchließers setzt solcher Gesellschaftsvertrag sofort einen geisti¬
gen Gesamtkörper, dessen Mitglieder aus sämtlichen
Stimm ab geb enden bestehen, und der durch eben diesen Akt seine
Einheit, sein gemeinsames Ich, sein Leben und seinen willen erhält.
Diese öffentliche Person, welche sich auf solche weise aus der vereint-
1 L-ontrat social, 1762- Deutsch von E). Denharöt, Reclams Derlag,