so wenig, daß sie nur auf einen Augenblick hinter die Fronte ging. 
Hier zog sie sich selbst den Pfeil heraus, ließ sich schnell die Wunde 
verbinden, führte dann wieder die Ihrigen an und pflanzte siegreich 
ihre Fahne auf die feindlichen Wälle. Ueberhaupt zeigte sie in allen 
Gefechten eine grenzenlose Kühnheit. Bei dem Sturme auf eine 
benachbarte Stadt sprang sie geradezu in den Festungsgraben hinein 
und rannte gegen die Mauer an, erhielt aber dabei einen so kräf¬ 
tigen Steinwurf auf den Kopf, daß sie besinnungslos zu Boden 
stürzte. Zum Glück kam sie bald wieder zu sich und ruhete nun 
nicht eher, bis die Stadt in ihren Händen war. Als nun bald 
darauf die Engländer von den Franzosen sogar im offenen Felde 
getroffen wurden, ging es ihnen ganz unglücklich. Gleich zu An¬ 
fange des Treffens liefen sie auseinander, warfen die Waffen von 
sich, und 2000 von ihnen wurden auf der Flucht erschlagen. 
Die erste Verheißung der Jungfrau — die Befreiung der Stadt 
Orleans — war nun erfüllt. Die zweite war die Krönung des 
Königs in Rheims. Daher forderte sie nun den König zum Zuge 
dahin auf. »Wohledler Dauphin,« sprach sie und knieete vor ihm 
nieder, »kommt nun, zu Rheims Salbung und Krönung zu em¬ 
pfangen. Ich bin sehr begierig, Euch hinziehen zu sehen. Eilt!« 
— Vor wenigen Wochen noch wäre es eine Tollheit gewesen, nach 
dem entfernten Rheims zu ziehen, und selbst noch jetzt war es ein 
Wagstück; denn die ganze Gegend bis dahin war noch von den Eng¬ 
ländern besetzt, und die Stadt selbst in ihren Händen. Aber auf 
Zureden der Jungfrau wurde der Zug beschlossen. Die meisten 
Städte unterwegs öffneten die Thore, und Rheims selbst sandte die 
Stadtschlüssel entgegen. 
Mit frohlockendem Herzen zog Karl in die Krönungsstadt ein, und 
gleich am folgenden Tage wurde das wichtige Werk vollzogen. Die 
Jungfrau mußte, ihre weiße Fahne in der Hand haltend, während 
der Ceremonie neben dem Könige vor dem Altare stehen, und das 
hohe Gewölbe des alten Domes hallte wieder von dem Freuden¬ 
geschrei des entzückten Volkes. Als nun die Krönung vorüber war, 
sank die Jungfrau, überwältigt von den Gefühlen der Freude und 
des Dankes gegen den Himmel, der sie zum Werkzeuge gebraucht 
hatte, nieder vor dem neu geweihten König, umfaßte seine Kniee 
und wünschte unter vielen Freudenthränen Glück zu der unerwar¬ 
teten Begebenheit. Er aber hob sie in den Adelstand und nannte 
sie das Fräulein von der Lilie. Nun begehrte sie ihre Ent¬ 
lassung. Sie wollte zurückkehren zu ihren Eltern in ihr stilles Dorf, 
zu ihren gewohnten Beschäftigungen. »Nimmermehr schon!« erklärte 
Dunois; »vollende erst dein Werk und vertreibe die Engländer 
vollends vom französischen Boden.« — Sie ließ sich bereden zu 
ihrem Unglücke.
	        
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