Erstes Kapitel:
Die Klause am Lutterüach.
Mer alte, fromme Pater Wilbrand hatte sich keinen
^ schlechten Platz ausgesucht, als ihm Herzog Lothar von
Sachsen, Herr von Supplingenbnrg, gestattete, am Fuße
des Elmgebirges sich einen Ort zu wählen, wo er Gott
und den Heiligen fürder Tag und Nacht dienen könnte.
Mit den Augen eines feinen Naturkenners hatte er das
Ufer des Bächleins gewählt, welches wegen feines klaren,
lautern Wassers die Lauter oder Lutter genannt wurde
und heute noch so genannt wird. Unter finstern Tannen
und Buchen erbaute er sich dort, als ein geschickter Werk¬
meister, mit eigener Hand ein Hüttlein, dessen Dach er
mit Rohr deckte und dessen Wände er mit Lehm und
Moos dicht machte gegen die Unbilden der Witterung.
Ein Tisch, ein Stuhl und eine Bank, alles roh mit einem
Beile gearbeitet, bildete fein gesamtes Hausgerät; auf
einem Gesimse standen einige irdene Schüsseln und Krüge,
und in einer Ecke befand sich die ärmliche Lagerstatt, ein
mit dürrem Laub gefüllter Sack und darüber liegend einige
Reh- und Hirschfelle. Neben dieser Klause stand ein großes
Kreuz, und zu Füßen desselben war aus rohen Steinen
ein Altar aufgerichtet, welcher statt einer Decke mit
grünem Epheu ganz überzogen war. In den Zweigen
einer hohen, stattlichen Buche aber hing, im Sommer von
grünem Laube ganz verdeckt, ein Glöckleiu, ein Geschenk
der frommen Herzogin Richenza, der Gemahlin Lothars,
welches Wilbrand dreimal täglich läutete, so daß der Schall
weit hinunter tönte in das Thal und die Landleute zum
Gebete rief.
Tiemann, Die Supplingenburger. 1