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unter freiem Himmel die Nacht zubrachten. Am schlimmsten 
aber war es, wenn wir irgendwo um Herberge baten 
und man fragte uns nach dem woher und wohin. Was 
sollten, was konnten wir darauf erwidern? Sagten wir 
die Wahrheit, daß ich die Witwe eines der Kaiserm'örder 
sei, der auf dem Hochgericht geendet habe, so mußten 
wir uns darauf gefaßt machen, als Geächtete und Aus- 
aestoßene mit Hunden vom Hofe gehetzt zu werden. Da 
galt es denn, allerlei Gründe für unsere Wallfahrt zu 
finden, die nicht geradezu Lügen waren; und das war oft 
recht schwer. Müde und abgehetzt, schwach, elend und 
krank kamen wir endlich hier an. Mein Bruder hatte schon 
von dem Unglück gehört, das mich betroffen, und er hatte 
mich schon als tot betrauert. Als ich nun aber, eine 
Bettlerin, über seine Schwelle trat, da nahm er mich 
mit offenen Armen wieder auf in sein Haus. Denn 
obwohl er den Mord selbst auf das Schärfste verurteilte, so 
war er doch zu gerecht, um mich, die Unschuldige, unter 
der Sünde meines Gemahls leiden zu lassen. Ja er 
tadelte mit harten Worten oft die Grausamkeit des 
Herzogs Leopold und der beiden Königinnen, die an völlig 
Schuldlosen ihre Rachsucht befriedigten. Unter der liebe¬ 
vollen Pflege meiner Schwieger Jngeborg bin ich körperlich 
wieder genesen — aber die Wunde meines Herzens wird 
niemals heilen. Mein einziger Wunsch ist nur noch, im 
Klosterfrieden mein ferneres Leben zuzubringen im steten 
Gebet sür den heißgeliebten Gemahl, daß Gott ihm seine 
Schuld verzeihe, für seine Freunde und Mitschuldigen, 
die unstät in der Welt umherirren, und für seine Feinde. 
Und dieser Wunsch ist seiner Erfüllung nahe. Nur noch 
wenige Tage, und ich verlasse das Haus meines Bruders, 
um in das Kloster am Gertrudenberge bei Osnabrück 
einzutreten; und dort, so hoffe ich, werde ich den Frieden 
meiner Seele wiederfinden." 
Mechtildis schwieg; Jan Ostrik aber ergriff ihre 
Hand und sagte leise: „Und das alles, Du Hohe und 
Reine, hast Du erduldet um meinetwillen. Ach, könnte 
ich nur einen kleinen Teil von dem wieder gut machen,
	        
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