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Ketten und Seile an denselben befestigen, die sie an starke Bäume
banden, welche sie sodann fällten. Da sank der Turm und zerschlug
im Falle das Dach der Kirche, die Glocke zersprang, und die Stücken der¬
selben wurden als Beute mitgenommen. Erst nach der Niederlage
der Bauern bei Frankenhausen verliessen die Räuber das arg ver¬
wüstete Kloster. Die Mönche kehrten, wenigstens teilweise, in das¬
selbe zurück. Da man aber das Kirchendach nicht wieder herstellte
so stürzte nach Jahren das Gewölbe des Gotteshauses ein.
Inzwischen waren infolge der Einführung der Reformation in dem
grössten Teile Norddeutschlands die Einnahmen des Klosters immer
geiingei geworden, viele Güter von den benachbarten Fürsten in Be¬
sitz genommen und die noch vorhandenen von den Äbten auf leicht¬
sinnige Weise vergeudet worden, so dass die Grafen von Hohnstein,
die Schutzvögte des Klosters, die Verwaltung desselben in die Hand
nahmen und in den von den Mönchen verlassenen Gemächern eine Ge¬
lehrtenschule einrichteten.
Zur Zeit des dreissigjährigen Krieges kehrten die Mönche für
kurze Zeit in das Kloster zurück, doch nach der Schlacht bei Breiten¬
feld zogen sie für immer aus ihrem eben wieder gewonnenen, noch
immer begehrenswerten Eigentum fort, von dem nun Herzog Friedrich
Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel Besitz nahm.
Seitdem die Kirche für den Gottesdienst unbrauchbar geworden
war, verfiel dieselbe immer mehr. Wie so viele ehrwürdige Bauwerke
alter Zeit diente auch sie als Steinbruch für die nähere und weitere
Umgegend,^ und manche Kirchen und Kapellen, sowie viele weltliche
Gebäude sind aus den verfallenen Trümmern des herrlichen Gottes¬
hauses erbaut worden. Zerstreut sind die reichen Kostbarkeiten, die
im Laufe der Zeit hier angesammelt wurden; das Taufbecken zierte
einst den Garten des Schlosses zu Salzdahlum als Fontänebecken, bis
es in der westfälischen Zeit verkauft wurde, und der herrliche Altar
mit seinem berühmten Gemälde schmückt noch heute die Kirche auf
dem Hradschin zu Prag.
Aber auch jetzt noch erfüllen die geringen Reste des Gotteshauses,
das schöne westliche Portal mit seinen weiten und hohen Fenstern,
der schöne Chor, den Beschauer mit ehrfurchtsvollem Staunen: noch
heute rufen die weiten Kreuzgänge, die zahlreichen Kapellen, der
Kapitelsaal und die zahlreichen andern Bauwerke die grosse Macht
und den einstigen Reichtum des Klosters uns ins Gedächtnis zurück.
Mit Wehmut scheidet der Beschauer von den so deutlich redenden
Zeugen frommen Glaubens und hoher Opferfreudigkeit längst ver¬
gangener Zeiten und roher Unkenntnis und Zerstörungssucht der
jüngst vergangenen Jahrzehnte.
Otto Hohnstein.