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Als die Witterung anfing milde zu werden, besserte sich
die Gesundheit der Königin, und am Ende des Monats April
nahm sie ihren Aufenthalt in Potsdam, wohin der König
schon früher gegangen war; sie wurde durch diesen Aufent¬
halt so gestärkt, daß ihre Kräfte gleichsam wieder aufblühten
und ihr Ansehen frisch und wieder jugendlich wurde.
Ehe die Königin Berlin verließ, um nach Potsdam zu
gehen, empfing sie an dem Osterfest, welches in diesem Jahre
spät einfiel, das Abendmahl in der Nikolaikirche aus den Hän¬
den ihres Beichtvaters, des Probstes Ribbeck, und in der
Seele der Königin war an diesem Tage und in den Tagen, die
dieser heiligen Handlung vorangingen, ein solches Ent¬
schwinden alles Irdischen, eine solche Verklärung, verbunden
mit einer solchen Liebe zu der Gemeinschaft der Christen,
die dieses Abendmahls mit ihr teilhaftig wurden, daß es im
recht eigentlichen Sinn, seiner göttlichen Einsetzung gleich,
ein wahres Abschieds- und Liebesmahl geworden ist.
6. Am väterlichen Hofe. Das Ende.
Es war seit Jahren der innigste Wunsch der Königin
gewesen, den Herzog, ihren Vater, den sie so sehr liebte,
in Strelitz zu besuchen. Seitdem sie Preußen angehörte,
hatte sie, wie sie zu sagen pflegte, einmal nur unter dem
väterlichen Dache geschlafen; allein es war bei einer trauri¬
gen Veranlassung. Sie hatte nämlich im Monat September
1803 eine kurze und schnelle Reise nach Ludwigslust
gemacht, um die damals schon beinahe sterbende Erbprin-
zessin von Schwerin, die Großfürstin Helena von Rußland,
zu besuchen. Die liebenswürdigen und rührenden Eigen¬
schaften dieser Fürstin, welche die Königin bei einem
Winteraufenthalt in Berlin kennen gelernt, hatten ihre ganze
Zuneigung zu ihr erweckt, und auch die Großfürstin war so