Die Taufe Widukinds.
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Als Widukind in die Nähe der stöhle kam, sprang er vorn
Pferde und band es an einen Baum. Die Waldfraui) kauerte
an einer Quelle, wie ein graues Steinbild erschien sie. Neben ihr
lag ein dunkelhaariger Hund. Der knurrte, als Widukind leise
herzutrat. Die Drude erhob sich. Wie ein Geist stand sie vor ihm.
Riesenlang war ihr Körper, weißes Linnengewand umhüllte ihre
Glieder, ein ©tternfell deckte ihre Brust.
„Was störst du meinen Frieden? Was begehrst du?" klang
es Widukind hohl entgegen.
„ Swanehild!“ sprach er, „verbannt bin ich aus der Heimat.
Derbrannt ist meine Halle. Einsam leb ich in der Fremde von der
Gastlichkeit des Hirschhofbauern. Traume schrecke:: mich. Der
Christenkönig hat mir Boten gesandt, daß ich zu ihm kommen soll
Frieden zu machen. Gib mir Rat, du weise Wala!"
Da ging 5tvanehild in ihre Grotte, kam aber gleich wieder
heraus und breitete ein weißes Linnen auf das grüne Moos aus.
Wolfsaug, ihr Hund, kauerte vor Widukind, als wollte er ihn hindern
feiner Herrin auch nur einen Schritt näher zu treten. Diese brach
von einem Buchenbaum eine Rute ab, teilte sie in kurze Stäbchen
und ritzte in ein jedes mit einem spitzen Knochen ein geheimnis¬
volles Zeichen. Ernst und feierlich trat sie au das ausgebreitete
Tuch, schüttelte die Stäbchen in der hohlen Hand und warf sie auf
das Linnen. Sie atmete tief auf, hob ihre beiden Arme zum Himmel
und murmelte ein Gebet. Bewegungslos stand Widukind da,
er hatte die Hände gefaltet, die Augen groß und weit auf die Stäbchen
gerichtet. Swanehild senkte ihre Arme, beugte die Knie und hob,
den Blick starr zum Himmel gewendet, drei Buchenstäbchen auf,
wie sie ihr in die Hände kamen. Dann heftete sie die Augen auf
die wunderlichen Runenzeichen, der Blick verfinsterte sich und mit
geisterhafter Stimme sprach sie:
„Will mir Wodan nicht mehr künden,
was er sonst mich schauen ließ?
Oder wird mein Auge trüber,
daß es nicht erkennen mag,
was die Zukunft dir beschießen?
Eines nur, das lef ich deutlich:
Sachsens Stern, er ist im Sinken,
der der Franken steigt empor!"
Durchdringend schaute Swanehild den Herzog an. Der
wandte sich schaudernd von ihr ab. Langsam, Schritt für Schritt,
entfernte er sich von der geheimnisvollen Stelle. Schwer waren
x) 5. v E?eft, 5. 2, u u. S. 5*, 29.
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