Dag neue Deutschtum.
Von Heinrich v. Treitschke.
Der ungeheure Umschwung der Meinungen, die gewaltsame Um-
kehr der Zeit von selbstgenügsamer Bildung zum politischen Wollen
zeigt sich wohl in keiner Schrift jener Tage so anschaulich wie in Fichtes
Abhandlung über Machiavelli. Der Ikarus unter den deutschen Jdea-
listen, der Verächter des Wirklichen feierte jetzt den härtesten aller Real-
Politiker, weil er in dem willensstarken Florentiner den Propheten
seines Vaterlandes erkannte. Während die Trommeln der französischen
Garnison drunten vor den Fenstern der Akademie erklangen, hielt
Fichte dann seine Reden an die deutsche Nation. Zerknirscht und er-
schüttert, im Gewissen gepackt, lauschte die Versammlung, wenn der
stolze Mann mit den strafenden Augen und dem aufgeworfenen Nacken
schonungslos ins Gericht ging mit der tief gesunkenen Zeit, da die Selbst-
sucht durch ihr Übermaß sich selbst vernichtet habe, und endlich den
Hörern sein radikales Entweder — Oder auf die Brust setzte: ein Volk,
das sich nicht selbst mehr regieren kann, ist schuldig, seine Sprache auf-
zugeben. Darauf riß er die Gedemütigteu wieder mit sich empor und
schilderte ihnen die unverwüstliche Kraft und Majestät des deutschen
Wesens so groß, so kühn, so selbstbewußt, wie in diesen zwei Jahrhnn-
derten des Weltbürgertums niemand mehr zu unserem Volke geredet
hatte, aber auch mit der ganzen unklaren Überschwenglichkeit des neuen
literarischen Nationalstolzes: die Deutschen allein sind noch ursprüug-
liche Menschen, nicht in willkürlichen Satzungen erstorben, das Volk
der Ideen, des Charakters; wenn sie versinken, so versinkt das ganze
menschliche Geschlecht mit. Soll der Menschheit noch eine Hoffnung
bleiben, so muß ein neues deutsches Geschlecht erzogen werden, das in
seinem Baterlande den Träger und das Unterpfand der irdischen Ewig-
feit verehrt und dereinst den Kampf aufnimmt gegen den Vernunft-
losen, hassenswürdigen Gedanken der Universalmonarchie.
Die Predigten Schleiermachers erregten den Argwohn der fran-
zöfifchen Spione. Mit dem hochfliegenden Pathos dieses Redners, der
die Erfüllung seiner Träume auf eine zukünftige Generation verschob,
wußten die Fremden nichts anzufangen: sie ahnten nicht, wie unwider-
stehlich gerade der überschwengliche Idealismus die Gemüter dieses