Full text: Von den Anfängen der griechischen Geschichte bis zum Regierungsantritt Karls d. Gr. (Teil 1 = Klasse 3)

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I. Germanische Art und Sitte. 
Eine Anzahl unter sich verwandter Familien bildete die Sippe 
(Sippschaft, Freundschaft), und die Verwandten nannten sich „Ge- 
sippte" oder „Freunde". Nach der männlichen Seite hin hießen 
sie „Schwertmagen", nach der weiblichen „Spindelmagen". Sippe 
bedeutet Friedensvertrag; aus diesem Begriff ergab sich für die 
Glieder die Pflicht gegenseitiger Liebe und Äilfe. Gesippte mußten 
einander bis zum Tode gegenseitig die Ehre wahren; sie gewährten 
sich Rechtsschutz und Eideshilfe (Sippschaftsfriede, Sippschaftstreue). 
Kein Band galt dem Germanen heiliger als das Sippschaftsband 
gemeinsamen Blutes. Dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit deuten 
schon die alliterierenden Namen innerhalb der Sippschaft an (Gibich, 
Günther, Gernot, Gifelher; Sigmund, Siglind, Sigfried; Äeinbrand, 
Äildebrand, Äadubrand). Friedensbruch innerhalb der Sippe war 
das schlimmste Verbrechen. Bruderfehde, so hieß es, werde einst dem 
Weltbrande vorhergehen. Der Friedensbrecher wurde für vogelfrei 
erklärt; seine Wohnstätte wurde zerstört, niemand durfte ihn beher¬ 
bergen; wem er in den Weg kam, der hatte Recht und Pflicht, ihn 
zu töten. In Fällen schwerer Schädigung durch Verletzung oder 
Totschlag trat die gesamte Sippe rächend für den Genossen ein. 
Totschlag vergalt man gewöhnlich mit Blut, doch begnügte man sich 
schon frühzeitig mit einem „Wergeld", d. H. Manngeld, der gesetzlich 
bestimmten Buße für den getöteten Mann. Auch das Äeer schritt 
nach Sippen geordnet in die Schlacht. Es stand im Kampfe Freund 
neben Freund, der Vater neben seinem Sohne; das zusammenhaltende 
Band war nicht die Disziplin, sondern die persönliche Treupflicht. 
Die Gesippten wohnten gemeinsam auf einer Lichtung, die die 
Väter einst gerodet und zur Ackerflur hergerichtet hatten. Wurde 
das Pflugland im Frühling an die Haushaltungen verteilt, so blieben 
Wald und Weide, Bäche und Seen gemeinsamer Besitz, die Almende. 
Dieser Gemeinbesitz bildete die Mark, d. H. Flurgrenze und Flur, 
und so waren die Gesippten zugleich „Markgenossen", die den Ertrag 
der Mark mit einander „genossen". 
Mit der Leitung der Gemeinde betraut war der Schultheiß, 
der Strafe „Leischende"; gemeinsam mit den Markgenossen verhandelte 
er unter der Dorflinde, am Marksteine oder wohl auch beim schäumenden 
Met über Störungen des Friedens, über Beutezüge und ähnliche 
Unternehmungen. 
Mehrere Markgenossenschaften zusammen bildeten den Gau- 
v er band, der im Gegensatze zu den natürlichen Blutsverbänden 
eine politische Einrichtung darstellte. Die Männer von 
fünf bis zehn Gemeinden traten zur Zeit des Neu- oder des Voll¬ 
mondes zum Gauding, zur Gerichtssitzung zusammen; die
	        
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